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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Steffanie Burow
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und sie war beinahe am Ziel. Zwanzig Meter hinter dem Stand versperrte zwar ein Bagger die Sicht, aber sie konnte bereits den Lärm von Autos hören. Eine der Hauptstraßen der Stadt war ganz in der Nähe, und wenn sie diese erreichte, würde der Rückweg zum Hotel ein Kinderspiel sein. Kehrte sie um, würde sie sich nur wieder verirren. In der letzten halben Stunde hatte sie außer zwei Männern, die in einem schlecht beleuchteten Innenhof vor einem mit türkisfarbenen Mosaiksteinen besetzten Brunnen standen, niemanden gesehen. Ob sie zurückgehen und die Männer nach dem Weg fragen sollte? Marion bezweifelte, dass sie das Haus wiederfand.
    Sie nahm die provisorisch anmutende Holzkonstruktion vor sich genauer in Augenschein. Wenn sie sich am Stützpfeiler des Daches festhielt, konnte sie sich um den Grill herumschwingen und auf der anderen Seite wieder auf dem Pfad landen. Kurz entschlossen trat sie näher auf die Bude zu. Der Rand der Grube war so bröckelig, dass sie beinahe abgerutscht wäre. Sie griff nach dem Stützbalken und machte einen Schritt vorwärts.
    Die Bretterbude brach mit einem jammervollen Knirschen zusammen, und Marion wurde durch ihren eigenen Schwung über die Kante der Baugrube geschleudert. Eine Sekunde später folgte ein großer Teil der Bude. Ich bin doch zu dick, dachte sie noch, bevor ein Brett sie am Kopf traf.

    Kurz darauf kam sie mit fürchterlichen Kopfschmerzen wieder zu sich. Ein Teil des Daches lag auf ihr, aber die Holzbude war glücklicherweise nicht massiv gewesen. Als Marion sich zur Seite drehte, um unter den Trümmern hervorzukriechen, zog ein heftiger Schmerz durch ihren Rücken. Sie musste auf dem Rand des Rohres aufgeschlagen sein, dessen schwarze Öffnung sich vor ihr auftat wie ein gähnender Schlund. Die Röhre hatte einen Durchmesser von etwa achtzig Zentimetern, groß genug, um notfalls darin zu übernachten. Marion wischte den Gedanken beiseite: Sie würde auf keinen Fall die Nacht hier unten verbringen.
    Direkt hinter ihr begann eine Zufahrtsrampe für Baufahrzeuge, an deren Ende der Bagger stand. Sie wollte gerade mühsam aufstehen und zu der Rampe gehen, als ein dunkler Gegenstand in der Kanalröhre ihre Aufmerksamkeit erregte. Marion schob sich den fehlenden halben Meter auf die Röhre zu und streckte die Hand aus. Ihre tastenden Finger stießen auf einen Schuh. Einen Männerschuh an einem Fuß. Es schlief tatsächlich jemand in der Röhre!
    Sie rüttelte an dem Fuß, um den Mann zu wecken, aber er rührte sich nicht. Bestimmt war er ein muslimischer Uighure, der sich betrunken hatte und nun nicht nach Hause traute. Marion dachte kurz nach. Wenn sie diesen auf Abwege geratenen Sohn Allahs über Nacht in der Kälte liegen ließ, würde er sich eine Lungenentzündung holen.
    Trotz der Kopfschmerzen spannte Marion ihre ganze Kraft an und zog den Mann aus der Öffnung. Es war verhältnismäßig leicht, da die Röhre etwas abschüssig lag. Nachdem die Beine bereits im Freien waren, griff sie nach seinen Armen, um ihn besser fassen zu können. Als sie seine Haut berührte, fuhr sie entsetzt zurück. Der Mann war eiskalt. Voller Panik zerrte sie ihn ganz aus der Röhre. Sie fürchtete sich vor dem, was sie sehen würde.
    Er lag mit dem Gesicht nach unten, und Marion drehte ihn auf den Rücken. Der Mann war klein und untersetzt. Ein kurzer, dichter Bart bedeckte sein breites Kinn, und in den geöffneten Augen spiegelte sich der Mond. Sie legte ihr Ohr an seinen Mund, konnte aber keinen Atem wahrnehmen. Fahrig suchte sie seinen Puls. Ein ergebnisloses Unterfangen: Der Mann war tot.
    Marion begann hysterisch zu schreien.
    * * *
    Kommissar Li Yandao sah auf seine Armbanduhr. Es war vier Uhr morgens, kein Wunder also, dass er müde war. Die deutsche Touristin saß auf einem der beiden Betten und weinte sich die Anspannung der letzten Stunden von der Seele. Ihr Zusammenbruch hatte lange auf sich warten lassen. Im Krankenhaus hatte sie einen wachen und beherrschten Eindruck gemacht und protestiert, als der Arzt ihr mitteilte, dass er sie zur Beobachtung dortbehalten wollte. Li Yandao hatte mit dem Arzt gesprochen und die junge Frau dann in ihr Hotel gefahren, auch wenn das schäbige Hotelzimmer seiner Meinung nach keine Verbesserung zum Krankenhaus war.
    Die Deutsche hatte ihre Habseligkeiten ordentlich auf dem zweiten Bett aufgestapelt. Er staunte, wie viele Dinge sie in dem kleinen roten Rucksack verstauen konnte, der leer an der Wand lehnte. Die meisten ihrer
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