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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Steffanie Burow
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schließlich auf seine Hände fiel, die eine Trinkschale hielten.
    Seine Hände zitterten. Sie zitterten so stark, dass sich auf dem Wein winzige Wellen kräuselten. Zhao Shan strich mit den Fingerkuppen über die filigranen Muster auf der Trinkschale, um sich zu beruhigen.
    Das kostbare Lackgefäß war das Symbol für seinen Aufstieg vom kleinen Unteroffizier zum Hohen Sekretär im Amt des Direktors der Landwirtschaft – einer Stellung, die ihm Einfluss und Achtung verschaffte. Er war nicht reich, aber wohlhabend genug, um seine Frauen und Konkubinen in luxuriöse Seidengewänder kleiden und seine Freunde, zu denen Gelehrte und Staatsmänner, Dichter und Musiker zählten, regelmäßig bewirten zu können. Sein Leben in der Hauptstadt war bequem und gesichert, solange er sich keine Feinde machte.
    Er würde sich Feinde machen. Es war unvermeidlich.
    Die Innenwand der Trinkschale war mit tiefrotem Lack überzogen, der im Licht der wenigen Lampen schimmerte und den fast durchsichtigen Traubenwein ebenfalls rot färbte. Seit Zhao Shan die Schale besaß, bewunderte er ihre Schönheit – aber heute stieß ihn die Farbe ab. Es war die Farbe von Blut, und Blut würde wieder fließen.
    Zhao Shan leerte die Schale in einem Zug und setzte sie auf das zwischen ihm und seinen beiden Gästen stehende Tablett. Vielleicht konnte er das Schlimmste verhindern.
    »Wann wird der Bote Chang’an verlassen?«, fragte er.
    »Morgen, spätestens übermorgen«, antwortete der ältere der beiden Männer. Er hatte ein intelligentes Gesicht, und seine wachsamen Augen waren ständig in Bewegung. Die spärlichen grauen Haare hatte er mit einer goldenen Spange zusammengefasst.
    »Hast du deine Vorbereitungen getroffen?«, fragte der Jüngere, ein etwa vierzigjähriger Mann mit ausladendem Bauch.
    »Ich bin aufbruchbereit, seit der Kaiser mich zum Berater des Generals ernannt hat«, sagte Zhao Shan. »Der Großteil meiner Leute ist bereits seit vier Wochen unterwegs, aber ich werde sie schnell einholen.«
    Der Grauhaarige lächelte Zhao Shan aufmunternd zu. »Gut. Du weißt, was du zu tun hast.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Natürlich.«
    »Und dir ist bewusst, dass es absolut notwendig ist. Als General Li Guangli vor zwei Jahren in den Westen aufgebrochen ist, haben Heuschrecken von hier bis weit in die westlichen Länder die Ernten vernichtet. Es war ein schlechtes Omen, auch wenn die Astrologen keine Gefahr für den Kaiser sehen wollten.«
    »Es geht um das Wohl Chinas«, antwortete Zhao Shan mit fester Stimme.
    * * *
    Der Bote horchte angestrengt in die Richtung, aus der das seltsame, hohe Wimmern gekommen war, doch sobald der Hufschlag seines Pferdes verklungen war, herrschte Stille. Zum ersten Mal bereute er, die Warnungen vor den heimtückischen, in den Wüstennächten umgehenden Geistern nicht ernst genommen zu haben.
    Sein Pferd schnaubte. Der Wind trug dem Boten erneut das unheimliche Geräusch zu. Ein Schauer jagte seinen Rücken hinunter, und er ballte seine Faust gegen eine entfernte Hügelgruppe, die in der sinkenden Sonne tiefschwarze Schatten warf.
    »Verschwindet, wer immer ihr seid! Weder Geister noch Menschen werden einen kaiserlichen Boten aufhalten!«, rief er in die tote Einöde, doch seine Stimme klang trotz der selbstbewussten Worte unsicher. Dann setzte er sein Pferd in Bewegung und trabte auf die Hügel zu.
    Die Geister verfolgten ihn, seit er am Nachmittag aus Wuwei aufgebrochen war, aber bislang hatte er angenommen, sich das seltsame Geheul nur einzubilden. In der Nacht zuvor hatte er zu viel Wein getrunken und war erst gegen Mittag mit grässlichen Kopfschmerzen aufgewacht. Der Wein gaukelte einem oft die seltsamsten Trugbilder vor.
    Der Bote sah gedankenverloren auf die zuckenden Ohren seines Pferdes. Es war ein Fehler gewesen, sich heute noch auf den Weg zu machen. Die Soldaten, in deren Begleitung er den nächsten Abschnitt seiner Reise unternehmen wollte, hatten nicht auf ihn gewartet, und auch Meister Zhao, mit dem er den Abend in der Gaststube des Rasthauses verbracht hatte, war nicht aufzufinden gewesen. Er hatte darauf vertraut, eine der Gruppen einzuholen, die bereits am Morgen die Stadt verlassen hatten. Doch obwohl er sein Pferd zu einer immer schnelleren Gangart angetrieben hatte, konnte er nicht zu den anderen Reisenden aufschließen. Ihr Vorsprung war zu groß.
    Die Sonne versank hinter den Bergspitzen. Zwielicht legte sich über die Wüste und löschte alle Farben. Die Gefahr, in der
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