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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Steffanie Burow
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Kaiser diesen Ehrennamen gewählt.
    Zhao Shan ging unruhig in seinem Zimmer auf und ab, während er über die Bedeutung der Botschaft nachdachte. Kaiser Wu Dis Größenwahn ließ ihn nach den Sternen greifen, aber Zhao Shan glaubte nicht einen Moment an das Gelingen der Unternehmung, die der Kaiser seinem General auftrug. Wenn Li Guangli dem Befehl gehorchte, was er unzweifelhaft tun würde, wären die Konsequenzen für China katastrophal, das Land würde in Armut und Chaos versinken.
    Die Botschaft durfte niemals ihren Empfänger erreichen.
    Ihm selbst blieb nur die Hoffnung, dass spätere Generationen zu würdigen wussten, was er für das Wohlergehen des Reichs getan hatte.

Kashgar
    Oktober 2004
    » G anbei!«
    Der junge Chinese hielt sich schwankend an der Tischkante fest und brachte einen Toast auf seinen Freund aus, der mit glasigen Augen auf ein Chaos aus Bierflaschen, Schüsseln, Hühnerknochen und zerknüllten Papierservietten starrte.
    »Ganbei«, nuschelte er, dann sackte sein Kopf auf den Teller.
    Die anderen Gäste johlten und applaudierten. Eine junge Frau mit gezupften Augenbrauen und zu viel Schminke im Gesicht schenkte eine neue Runde Schnaps ein.
    »Ganbei!«, kommandierte sie, und alle leerten ihre Gläser in einem Zug. Einer der Gäste stimmte einen Popsong an, der in Hongkong gerade beliebt war. Seine Freunde grölten enthusiastisch mit, während das Geburtstagskind leise schnarchend das Beste verpasste.
    Es war eine gelungene Party.

    Marion sah neidisch zum Nachbartisch hinüber. Sie hätte viel darum gegeben, den Abend in Gesellschaft zu verbringen, aber sie brachte nicht den Mut auf, sich zu den feiernden Chinesen zu setzen. Trübsinnig schaute sie auf den Berg Nudeln, der mit einer fettigen Soße aus Hammelfleisch und Paprika übergossen war. Er stand unangetastet vor ihr und wurde langsam kalt. Der Appetit war ihr vergangen. Es war paradox: Sie saß in einem vollbesetzten Restaurant im bevölkerungsreichsten Land der Welt und fühlte sich so einsam wie nie zuvor.
    Dabei war sie noch keine drei Wochen ohne Thomas unterwegs. Das Alleinreisen verschaffte ihr viele Freiheiten, aber es hatte auch seinen Preis. Die Vorstellung, in ihr trostloses Hotelzimmer zurückzukehren, war Marion unerträglich. Sie hatte sich bereits dabei ertappt, dass sie sich mit ihrem Spiegelbild unterhielt. Es wird Zeit, andere Leute kennenzulernen, dachte sie, sonst werde ich noch verrückt. Sie machte der Kellnerin ein Zeichen und bat um die Rechnung.
    Als sich das junge Mädchen an den betrunkenen Chinesen vorbeidrängte, kippte ihm einer der Männer aus Versehen ein halbvolles Bierglas über die Hose. Mit zerknirschter Miene ließ er die Beschwerde der Kellnerin über sich ergehen und versuchte sie dann auf einen freien Stuhl an seinem Tisch zu zerren. Sie befreite sich lachend und arbeitete sich weiter zu Marion durch. Ihre Augen weiteten sich erstaunt, als sie bemerkte, dass die Europäerin ihr Essen nicht angerührt hatte. Sie sah Marion fragend an.
    » Hao. Gut«, sagte Marion, um das Mädchen zu beruhigen. Dann deutete sie auf ihren Magen. »Aber mir ist schlecht.«
    Die Kellnerin räumte kichernd den Tisch ab. Ausländer mussten nach Auffassung von chinesischen Kellnerinnen die komischsten Menschen der Welt sein, denn sie kicherten immer, wenn sie mit ihnen zu tun hatten. Marion hatte bisher noch nicht herausgefunden, warum. Sie stand auf. Ihr war nicht komisch zumute.
    Vor der Tür zog sie fröstelnd den Reißverschluss ihrer Jacke bis unters Kinn zu. Obwohl es Mitte Oktober tagsüber noch warm war, erhob der Winter bereits Anspruch auf die Nächte. Es war erst halb zehn, und Marion beschloss, einen Spaziergang zu machen, um die Zeit totzuschlagen.

    Anderthalb Stunden später balancierte sie am Rand einer tiefen Baugrube entlang, in der riesige Röhren zur Montage bereitlagen. Die maroden muslimischen Stadtviertel von Kashgar wurden an die Kanalisation angeschlossen, und dafür war die Gasse, durch die sich Marion gerade kämpfte, in voller Breite aufgerissen worden. Zu beiden Seiten der von hohen Mauern begrenzten Straße standen den Fußgängern nur schmale Pfade zur Verfügung. Ein Ofenrohr, das über die Baugrube hinausragte, versperrte Marion den Weg. Es gehörte zu einem großen Grill, der unter einem windschiefen Holzdach aufgebaut war. Marion war in eine Sackgasse geraten.
    Sie fluchte. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie endlich aus dem düsteren Gassengewirr der Altstadt hinausgefunden hatte,
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