Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
und spürte, wie sich die Narben auf seinem Rücken spannten.
    »Trotzdem sagt mir dein Horoskop, dass du in großer Gefahr schwebst. Tu mir einen Gefallen und verlasse diesen Weg, er wird wahrscheinlich noch von anderen Leuten benutzt. Bitte! Verbirg dich zumindest die Nacht über im Wald.«
    Dylan zügelte sein Pferd und blickte Sinann erstaunt an. Sie bat ihn um etwas? Das war nicht ihre Art, demnach musste es ihr bitterernst damit sein. Nachdenklich nagte er an seiner Unterlippe, dann seufzte er ergeben. Die Sonne ging ohnehin schon unter, und bald würde es empfindlich kalt werden. »In Ordnung.«
    Er glitt aus dem Sattel und führte das Pferd vom Weg weg in den Wald hinein. Sinann flatterte hinterher und streute welke Blätter über die Hufspuren. Dylan ging hügelabwärts, bis er auf einen schmalen Bach stieß, der sich zwischen Farngestrüpp und Felsbrocken hindurchschlängelte; er folgte ihm, bis er einen ebenen, trockenen Platz fand, wo er sein Nachtlager aufschlagen konnte.
    Da er nicht wagte, ein Feuer zu machen, mischte er den Rest seiner Armeeration Hafermehl mit etwas Wasser aus dem Bach, formte kleine, klebrige Klöße aus der Masse und verzehrte sie kalt mit den Fingern. Mit dieser drammach genannten kargen Mahlzeit hatte er sich im vergangenen Jahr häufig begnügen müssen. Dann wusch er sich Hände und Gesicht, band das Pferd hinter ein paar Birken an, wickelte sich in sein Plaid und legte sich auf dem lehmigen Boden zum Schlafen nieder. Sinann kauerte sich auf die Kruppe des Pferdes und faltete die Flügel um ihren Körper.
    Dylan schlief augenblicklich ein; eine Fähigkeit, die er sehr bald nach seiner Ankunft in diesem Jahrhundert entwickelt hatte. Hier musste ein Mann in der Lage sein, trotz Kälte und Nässe jede sich bietende Gelegenheit zum Schlafen zu nutzen. Konnte er das nicht, war oft genug sein Schicksal besiegelt, wenn er sich von Schlafmangel benommen seinen Feinden stellen musste.
    Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er plötzlich hochschrak; lange konnte es nicht gewesen sein. Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt, da war er ganz sicher, aber obwohl er angestrengt in die nächtliche Stille lauschte, konnte er nicht feststellen, was es gewesen war. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Dunkelheit hinaus.
    Ein Windstoß fuhr durch die Baumkronen und ließ die Blätter leise rascheln. Es klang, als flüsterten Geister miteinander. Die Wipfel über Dylans Kopf schienen sich verschwörerisch zueinander zu neigen. Und dann hörte er es plötzlich - ein schwaches metallisches Geräusch, das er, als es näher kam, als das Klirren von Zaumzeug identifizierte.
    Er erstarrte, als kurz darauf auf dem Pfad über ihm deutliches Hufgetrappel zu vernehmen war. Soldaten? Höchstwahrscheinlich. Fast jeder Mann in diesem Teil von Glen Dochart hielt nach versprengten Jakobiten Ausschau. Dylan blickte zu Sinann hinüber. Auch die Fee war von den Geräuschen aus dem Schlaf gerissen worden und spitzte die Ohren. Die Reiter wechselten kein Wort miteinander, was Dylan merkwürdig vorkam. Es war schon ungewöhnlich genug, dass die Soldaten nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs waren. Als der Hufschlag verklungen war, flüsterte er Sinann zu: »Woher wusstest du das?«
    Die Fee schnaubte. »Sogar du weilst doch schon lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, dass du nicht alles weißt, mein Freund.«
    Am nächsten Morgen erhob sich Dylan, schüttelte Schmutz und Reif aus seinem Haar und schlang sein Plaid wieder um sich. Fröstelnd zog er den Stoff über die Schultern und stopfte ihn in seinen Gürtel, dann rieb er sich Gesicht und Nase, um die Blutzirkulation anzuregen. Einen Moment lang fürchtete er, das taube Gefühl könne auf Erfrierungen hindeuten, doch bald begann seine Haut zu prickeln; er kratzte sich das mit Stoppeln überwucherte Kinn und erwog flüchtig, sich wieder einen Bart stehen zu lassen. Dann fiel ihm ein, dass es in dieser Gegend zahlreiche englische Soldaten gab, die ihn noch mit Bart kannten, also beschloss er, sich am Bach zu rasieren. Inzwischen hatte er gelernt, seinen sgian dubh als Rasiermesser zu benutzen, und er entfernte die Bartstoppeln rasch und geschickt, obwohl er nur kaltes Wasser zur Verfügung hatte.
    Nachdem er dem Pfad ein Stück gefolgt war, gelangte er zu einem zwischen zwei Hügeln gelegenen abgeernteten Haferfeld, wo er Halt machte, um sein Pferd an den Stoppeln knabbern zu lassen. Währenddessen zog er seinen zweiten Dolch aus der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher