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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Julianne Lee
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denn es war in den Highlands noch nicht lange üblich, Geburten, Todesfälle und Eheschließungen innerhalb der Gemeinde schriftlich festzuhalten. Eines dieser Bücher lag auf dem Tisch. Dylan stellte die Kerze ab, um es aufzuschlagen.
    »Das ist das Totenbuch - und zwar das aktuelle -, aber die letzten Seiten sind leer.« Er blätterte in dem Buch herum, fand den letzten Eintrag und zog Codys Fotokopie aus seinem Hemd, um beides zu vergleichen. Richtig, dies war die Seite, die sie aus Schottland zugeschickt bekommen hatte. Alle Eintragungen stimmten überein, bis zu Seonags Tod im Jahre 1715, doch danach waren die Seiten leer. »Turnbull hat keine Sterbeliste geführt. Wahrscheinlich hat er dieses Buch nie angerührt. Seonag war die Letzte im Tal, die zu Vater Buchanans Lebzeiten gestorben ist. Das ist seine Handschrift, die kenne ich gut. Der nächste Name nach dem Ciarans ist der von Malcolm; er starb 1722. Und der ist wieder in einer anderen Handschrift geschrieben als der von Seonag oder von Ciaran. Das ist doch ...«
    Plötzlich fügte sich alles zusammen. Die Blockschrift war seine eigene! »Ich habe das geschrieben.«
    Cody runzelte die Stirn. »Warum denn?«
    »Um dich herzuholen, damit du Ciarans Leben rettest.«
    »Aber warum solltest du Ciarans Namen auf eine Totenliste setzen, um sein Leben zu retten? Das finde ich ganz schön gespenstisch ...«
    »Ich habe es getan - werde es tun -, weil ich jetzt ja weiß, weshalb du hergekommen bist.« Er nahm die Kerze und sah sich im Raum um, bis er eine große Flasche Tinte und eine alte, schmutzige Schreibfeder fand. Beides nahm er mit zum Tisch und malte sorgfältig Buchstabe um Buchstabe in das Buch.
    »Dylan, du brauchst doch nicht ...« In diesem Moment tropfte ein bisschen Tinte von der Feder und verunzierte die Seite mit einem kleinen Fleck. Er glich dem Fleck auf der Kopie ganz genau. »Oh ...«
    Dylan beendete seine Arbeit, beugte sich über das Buch und blies auf die Tinte, damit sie schneller trocknete. Er fand es in der Tat gespenstisch, den Namen seines Sohnes auf eine Totenliste zu setzen, aber er wusste, er hatte nur getan, was notwendig war. »Der Lauf der Geschichte lässt sich nicht ändern. Alles geschieht aus einem bestimmten Grund, und manchmal ist der Grund einfach der, dass man keine andere Wahl hat, als das zu tun, was man tun muss.«
    Cody trat zu ihm und schlang die Arme um ihn.
    Als Sinann sich plötzlich vor ihnen materialisierte, schraken beide zusammen. »Ihr solltet euch schämen, alle beide«, verkündete die Fee. »Nun, junge Dame, bist du bereit, zu deinem Mann zurückzukehren?«
    Cody zögerte. Dylan sah ihr an, dass sie erwog, in Schottland zu bleiben, und er wollte ihr Zeit geben, sich ihren Entschluss gründlich zu überlegen. Endlich sagte sie: »Ray wird schrecklich ärgerlich sein, wenn ich zurückkomme.« Sie sah Dylan an. »Aber ich stimme dir zu, die Ehe ist etwas Heiliges. Du hast gesagt, ich wäre verrückt nach Ray, und da hattest du vollkommen Recht.« Sie seufzte. »Ja, ich muss wenigstens versuchen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen.«
    Dylan drückte sie lächelnd an sich. »Du schaffst das schon, da bin ich mir ganz sicher. Und wenn du wieder zu Hause bist, grüß Mom von mir.« Als ein Schatten über ihr Gesicht flog, berichtigte er sich rasch: »Na ja, vielleicht besser nicht. Aber mach ihr irgendwie begreiflich, dass ich sie liebe ... geliebt habe.«
    Cody nickte. Sinann hob eine Hand. »Seid ihr zwei jetzt fertig?« Wieder nickte Cody, Sinann schnippte mit den Fingern, und im nächsten Moment war Cody verschwunden.
    Am nächsten Morgen stieg Dylan allein den Hang zum Kirchhof empor. Er trug ein grob gezimmertes Holzkreuz bei sich. Die Sonne ging gerade auf, und der Boden erwärmte sich unter seinen Füßen. Im Wald hinter der Kirche begrüßten die Vögel den neuen Tag mit lautem Gezwitscher. Dylan ging zu Caits Grab hinüber und stellte das Kreuz am Kopfende auf. Er wollte es eines Tages durch einen Grabstein ersetzen, vielleicht durch einen aus Marmor, wenn er sich das leisten konnte. Falls er Ramsays Gold und Silber im nächsten Frühjahr nicht brauchte, könnte er davon den Stein kaufen. Einen schönen Grabstein aus weißem Marmor mit einem eingemeißelten Engel. Das würde ihr gefallen.
    Dann setzte er sich neben das Kreuz auf den Boden und sog die Morgenluft in tiefen Zügen ein. Die Welt roch frisch, warm und nach dem süßem Duft der frisch erblühten Rosen vor der Kirche. Nach einer Weile begann er
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