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Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Julianne Lee
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aus aufge-nominen worden waren, aber der Anblick, der sich ihm jetzt bot, hatte mit diesen Bildern wenig gemein.
    Dann ging ihm ein Licht auf. Natürlich sah die Festung anders aus, als er sie von den Fotos seiner Zeit her kannte! Der Zugang war nur ein schmaler, ausgetretener, von Disteln und niedrigem Heidekraut gesäumter Pfad, die Esplanade noch nicht gepflastert, und auch die beiden Statuen von William Wallace und Robert the Bruce würden erst viel später neben den Toren aufgestellt werden.
    Wie ein neugieriger Tourist blickte er sich voller Staunen um, bis er einen Rotrock entdeckte, der bei dem alten Fallgatter nördlich der Geschützgruppe Wache stand. Weitere Soldaten ritten auf dem Weg über ihm zur Festung hinauf, und er senkte hastig den Blick, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Insgeheim schalt er sich einen Narren. Er hätte damit rechnen müssen, hier auf Rotröcke zu stoßen, denn seit der Errichtung des Palastes Holyrood am anderen Ende der Stadt wurde die Festung nicht mehr als Königssitz genutzt. In dem von den Hannoveranern besetzten Edinburgh diente sie als Garnison für die englischen Soldaten.
    Als er die hohen Gebäude erreichte, die sich am Hang des Felsens bis zur Festung emporzogen, wanderten seine Gedanken von den Soldaten zu Cait. Sie war hier, lebte irgendwo inmitten dieses Gewirrs aus eng beieinander liegenden Stein- und Holzhäusern und überfüllten, stinkenden Gassen, und vielleicht dachte sie just in diesem Moment an ihn.
    Die schmale Straße, die sich zur High Street hinaufwand, war eng und steil. Er stieg ab und führte sein Pferd am Zügel. Als er den Gipfel erreichte, war er außer Atem. Links konnte er die Festung sehen, und zu seiner Rechten schlängelte sich die Hauptstraße in sanften Kurven zur Rückseite des Felsens, auf dem Edinburgh erbaut worden war. Wohnhäuser, Geschäfte und Schenken schienen sich Halt suchend aneinander zu drängen. Einige Gebäude waren mit Erker-türmchen versehen, die weit in die Straße hineinragten.
    Ein Ekel erregender Gestank lag in der Luft. Dylan hatte angenommen, lange genug in diesem Jahrhundert gelebt zu haben, um an üble Gerüche gewöhnt zu sein, aber hier bildete die Straße eine einzige Kloake, und der stechende Geruch nach Ammoniak und Methan trieb ihm die Tränen in die Augen. Am Straßenrand stand ein mit Unrat beladener Karren, daneben eine Frau mit hochgebundenem Rock, die eifrig den Kot vom Boden kratzte. Wahrscheinlich wollte sie ihn auf dem Land als Dünger verkaufen. Gut, dass es diese Mistsammler gab, sonst würde die Stadt in Exkrementen ersticken, dachte Dylan, dann wandte er sich an Sinann. »Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich das Pferd wirklich verkaufen will. Ich habe keine Lust, zu Fuß durch diesen Dreck zu waten.«
    »Meinst du, in einer Gefängniszelle duftet es nach Rosen?«
    Dylan grunzte nur und hielt nach dem Schild eines Pferdehändlers Ausschau. Nach den Maßstäben des 18. Jahrhunderts war Edinburgh eine Großstadt, trotzdem dauerte es nicht lange, bis er einen Stall gefunden hatte. Am Fuß des Hügels, in der Nähe von Cowgate, gab es gleich mehrere davon, und dort verkaufte er das Pferd für fünfzehn Shilling in gutem englischem Geld.
    »Du hättest ein ganzes Pfund erzielen können, wenn du nur länger gefeilscht hättest«, nörgelte Sinann, die ein Stück über dem Boden dahinflatterte und ab und zu angewidert die Nase rümpfte. Dylan gab keine Antwort, sondern blieb vor einem Bäckerladen stehen und erstand ein noch warmes kleines Weizenbrot. Die Hälfte davon schlang er mit zwei Bissen hinunter. Es schmeckte köstlich, nachdem er in den letzten beiden Tagen nur ein paar Hand voll kalte Hafergrütze zu sich genommen hatte. Dann ging er weiter, schob sich an Fußgängern und Reitern vorbei und bog in eine enge Gasse ein, die wieder zur High Street emporführte.
    Nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, sagte er zu Sinann: »Nein, ich hätte nie ein ganzes Pfund für das Pferd bekommen. Der Mann dachte, ich hätte es gestohlen, und das ist gut so, denn dann wird er darauf achten, dass die Rotröcke es vorerst nicht zu Gesicht bekommen.«
    »Vermutlich«, lenkte Sinann ein.
    Dylan ließ den Blick seufzend über die Menschenmenge wandern. »Nun ja, wenn sie mich entdecken, habe ich eben Pech gehabt. Jetzt muss ich erst einmal versuchen, Ramsay zu finden.«
    »Frag doch jemanden nach ihm.«
    Dylan kicherte. »Gute Idee. Was soll ich denn sagen? Entschuldigt bitte, Sir, aber ich
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