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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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wieder.»
    Eva taten ihre harten Worte von eben leid.
    «Nein, Niklas, ich hab Unsinn geredet. Adam wird uns nie vergessen, und dich schon gar nicht, Igelchen. In Gedanken ist er immer bei dir und beschützt dich, so wie früher. Jetzt bleib noch einen Moment sitzen mit deinem Knie und mach kurz die Augen zu!»
    Leise schlich sie zum Küchenherd, nahm ein Stück Holzkohle, malte sich auf die Oberlippe ein dunkles Bärtchen, wie es ihr älterer Bruder trug, und zog sich Vaters alte Mütze tief in die Stirn. Dann richtete sie sich auf, straffte die Schultern und bat Niklas, die Augen zu öffnen.
    «Niemals würde ich dich vergessen, mein Kleiner», sagte sie mit tiefer Stimme. In dem leicht wankenden, o-beinigen Gang ihres Bruders schritt sie auf Niklas zu und legte ihm den Arm um die Schultern. «Niemals, glaub mir!»
    Mit offenem Mund starrte Niklas sie an.
    «Und dieses Bubenpack vom Severinstor werd ich mir auch vorknöpfen, wirst sehen! Bring du nur die Wolle zum Meister.»
    «Eva?»
    «Nun lauf schon!»
    Nachdem Niklas fort war, nahm sie ein dunkles Tuch aus der Kleidertruhe und machte sich auf den Weg. Wie zu erwarten an diesem milden Abend, fand sie die Burschen beim Spiel mit ihrer Beute, nicht weit vom Tor. Sie unterdrückte ein Lachen: Höchstens ein, zwei Jahre älter als Niklas waren sie. Rasch färbte sie sich auch das restliche Gesicht kohlschwarz, band sich wieein Seemann das Tuch um den Kopf und rannte brüllend und mit erhobenen Armen auf sie zu.
    «Stracks zur Hölle sollt ihr fahren! Ihr Diebe, ihr Erzlümmel!»
    Schon lag der Ball auf der Erde, und die Jungen waren um die nächste Hausecke verschwunden. Dass es so einfach sein würde, hatte Eva nicht erwartet. Bis auf die beiden Torwächter, die sich den Bauch hielten vor Lachen, hatte niemand sie beobachtet, und so beeilte sie sich, zum nächsten Brunnen zu kommen und sich das Gesicht zu waschen, bevor sie jemand in diesem lächerlichen Aufzug erkannte.
    Indessen war es nicht dieses nahezu spaßige Erlebnis, das ihr jenen Sommertag unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt hatte. Es war vielmehr das, was sie zu Hause erwartete: Ungehalten, mit einer Weidenrute in der Hand, schritt ihr Stiefvater vor dem Esstisch auf und ab.
    «Warum ist das Nachtessen nicht gerichtet? Und was ist das für ein Saustall hier?»
    Auf den ersten Blick erkannte Eva, dass er angetrunken war – und das bereits am Spätnachmittag.
    «Und du?» Er fuchtelte mit der Rute vor Niklas herum, der sich zitternd auf der Bank zusammenkauerte. «Wie schaust du überhaupt aus? Bist vom Hausdach gefallen oder was?»
    «Sie haben ihn verhauen, als er seinen Ball nicht hergeben wollte», erwiderte Eva so ruhig wie möglich.
    «Ich glaub es einfach nicht! Der Sohn von Gallus Barbierer lässt sich immer noch verprügeln! Kannst du dich nicht wehren wie jeder gestandene Kerl? Ich werd dich lehren, dich nicht mehr wie eine Memme zu benehmen!»
    Er ließ die Rute auf Niklas’ Rücken schnellen.
    «Los, steh auf! Über den Tisch gelehnt und Arsch her!»
    Schluchzend gehorchte Niklas, dann klatschte der ersteSchlag gegen sein nacktes Hinterteil. Eva fiel ihrem Stiefvater in den Arm, bevor er ein weiteres Mal ausholen konnte.
    «Hör auf! Bitte hör auf!»
    Da hatte er sie schon bei Arm und Schulter gepackt und mit aller Wucht gegen die Wand geschleudert. Eva unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sie zu Boden sank. Von ihrer Schläfe rann Blut.
    Indessen schien Gallus Barbierers Wutausbruch verpufft. Zwei, drei halbherzige Schläge noch trafen Niklas, dann befahl er seinem Sohn, ihm aus den Augen zu gehen.
    «Und jetzt zu dir, du kleine Zuchtel!» Seine Augen wurden zu Schlitzen. «Für dich hab ich eine wunderbare Nachricht.»
    Er packte sie bei den Händen und zog sie hoch. Dabei umfasste er ungeniert ihre kleinen, festen Brüste.
    «Es gibt da einen, dem diese Dinger mehr gefallen, als du ahnst. Ich hab dich heut meinem Vetter Bomeranz versprochen. Sobald du sechzehn bist, wirst du ihn heiraten.»

3
    Von der Hoblerin erfuhr Eva, dass ihr Stiefvater sie regelrecht verschachert hatte. Die alte Witwe hatte von ihrem Fenster aus belauscht, wie die beiden Männer handelseinig geworden waren: Gegen Erlass all seiner Spielschulden würde er, Gallus Barbierer, dem Vetter die Tochter überlassen. Im Gegenzug würde er ein Auge drauf halten, dass Eva bis zur Hochzeit ein hübsches Sümmchen aus ihrer Hände Arbeit beisammenhätte.
    Als die Tage spürbar kürzer wurden, brachte Eva immer häufiger
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