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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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–, «das Kind ist toll geworden. Vollkommen narrisch. Gegen den eigenen Vater ist sie gegangen!»
    «Redet keinen Blödsinn. Das war ein Anfall von Veitstanz, der kommt vor bei Mädchen in dem Alter. Sie braucht die nächsten Tage Ruhe, nur dann besteht die Aussicht, dass sich der Anfall nicht wiederholt. Spinnen kann sie jedenfalls vorerst nicht, richtet das dem Weber nur gleich aus.»
    «Wollt Ihr mir etwa Vorschriften machen? Ihr habt mir gar nichts zu sagen.»
    Die Witwe zuckte die Schultern. «Ich sag’s nur, wie es ist.»
    Barbierer erhob sich und schlurfte zur Tür. «Heut mag sie meinetwegen liegen bleiben, aber ab morgen ist mit dieser angeblichen Leibesblödigkeit Schluss. Und jetzt muss ich zur Arbeit, höchste Zeit.»
    Eva begriff kaum, was sie gehört hatte. Veitstanz! Das waren doch diese armen Kreaturen, die man hin und wieder an den Straßenecken fand, mit Schaum vor dem Mund und grässlich verrenkten Gliedern! Denen der Teufel in den Leib gefahren war und denen, wenn überhaupt, nur noch der Priester helfen konnte. Erneut ergriff sie der Schwindel, und sie schloss die Augen. Da tauchte das Entsetzliche wieder auf: das sabbernde Gesicht ihres Stiefvaters, seine Hände auf ihrem Körper, sein riesiges, geschwollenes, rosafarbenes Geschlecht. Sie begann zu schluchzen und zu würgen gleichzeitig, erbrach sich neben dem Strohsack in Krämpfen, die nicht enden wollten, bis nur noch Galle kam.
    «Ist der Vater fort?», flüsterte sie, dann verlor sie erneut das Bewusstsein.
     
    An den nächsten Tagen war Eva keineswegs in der Lage, Wolle zu spinnen, denn ein böses Fieber hielt sie im Griff. Tagsüber sah die Hoblerin hin und wieder nach ihr, wusch ihr mit einem Schwamm den Schweiß vom Körper und flößte ihr Kräuterwein ein, den sie selbst angesetzt hatte. Als einstiger Bader wusste Gallus Barbierer ebenfalls um die Versorgung und Behandlung von Kranken, doch kaum kam er von der Arbeit und näherte sich Evas Lager, brach sie in angstvolles Stöhnen aus. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre Pflege in den Abend- und Nachtstunden Niklas zu überlassen. In ihren wenigen klaren Momenten hörte Eva ihren Stiefvater fluchen und schelten, wie verstockt sie sei, was für ein hundsdummes Narrenkind, und am vierten oder fünften Tag schließlich – sie hatte ihr Lager längst wieder oben auf der Bühne – stand er unten an der Stiege und rief ihren Namen.
    «Herrgott, Eva, jetzt gib schon Antwort, wenn du wach bist.»
    Eva spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Bis auf den Schein der Tranlampe in der Stube war es dunkel, und sie wusste nicht, welche Tageszeit herrschte. Ihr Arm tastete neben sich, um zu prüfen, ob ihr Bruder dort lag, doch der Platz war leer.
    «Eva! Antworte mir!»
    Sie presste die Zähne zusammen und schwieg.
    «Ich weiß, dass du mich hörst. Was auch immer in deinem Hirn vorgeht – ich habe nichts Unrechtes getan. Wollte bloß mal sehen, ob alles zum Besten steht mit dir. Das ist meine Pflicht als Vater! Schließlich hab ich dich verlobt, und das ist kein Kinderkram, verstehst du?»
    Als sie weiterhin schwieg, fuhr er fort, jetzt deutlich lauter und zorniger: «Ich warne dich: Wag es ja nicht, deine Hirngespinste irgendwem zu erzählen! Dann wird alle Welt erfahren, dass du irre geworden bist, und man steckt dich ins Narrenhäusl.Als Büttel ist es mir ein Leichtes, das zu veranlassen. Und damit würd ich mir sogar noch ein hübsches Zugeld verdienen!»
    An diesem Nachmittag tauchte ganz unerwartet Josefina auf. Das Fieber hatte etwas nachgelassen, und zum ersten Mal war Eva, wenn auch schwach, so doch einigermaßen bei sich. Nur der Kopf schmerzte noch immer.
    «Was machst du nur für Sachen?» Liebevoll strich Josefina ihrer Schwester über die Stirn. «Ich wär schon früher gekommen, aber die Lindhorns haben mir heut erst freigegeben. Stell dir vor, sie haben mir sogar was mitgegeben für dich.»
    Sie zeigte ihr ein Körbchen mit Lebkuchen. Weihnachten stand vor der Tür, das Fest der Liebe und des Friedens, und bei diesem Gedanken brach Eva plötzlich in Tränen aus.
    «Nicht weinen, Eva. Du wirst schon wieder gesund. Ich war grad bei der Hoblerin, die hat mir alles erzählt. Dass dich der Veitstanz gepackt hat, muss nichts heißen, sagt sie. Oft kommt er, wenn die Körpersäfte durcheinandergeraten, grad bei jungen Frauen und durch zu viel Anstrengung und Aufregung. Wahrscheinlich hast dich übernommen, mit der Arbeit und der Haushaltung und dem allen. Sie sagt, wenn du
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