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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
Autoren: Christoph Marzi
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man in der alten Sprache Gomorrha nannte.« Er lacht nachdenklich. »Wie lange das schon her ist.« Ganz nostalgisch. »Sie waren immer schon zuverlässige Diener.«
    »Heißt das, sie werden wieder leben?«
    »Alles«, antwortet Lycidas, »wird irgendwann wieder leben.«
    »Was ist mit Mara geschehen?«
    »Eris hat sie berührt.«
    Emily schluckt. Spürt die Tränen in ihren toten Augen.
    Würde sie Mara verlieren?
    Ganz starr liegt ihre Schwester vor ihr. Dort, wo Maurice Micklewhite sie hingelegt hat.
    »Alles«, flüstert Lycidas ihr zu, »wird gut werden.«
    Dann legt er Emily die Hand aufs Gesicht, und das Mädchen riecht seine Haut, die genauso riecht, wie man sich als Kind eines Engels Duft vorstellt. Fernab wie ein Lied, das jemand im warmen Sommerwind summt.
    »Es werde Licht«, haucht Lycidas ihr ins Ohr.
    Streicht ihr über die Augen.
    Und als Emily die Augen öffnet, blendet sie der Glanz des Engels, der vor ihr steht. Der seine Schwingen ausgebreitet hat und in dessen strahlenden Augen sie eine Furcht erkennt, die tiefer als der Abgrund ist. Es sind die Augen der Jägerin. Lucia del Fuegos verletzliche Augen.
    »Ich kann sehen«, stellt Emily verblüfft fest.
    Berührt ihr Mondsteinauge, das immer noch da ist.
    »Es wird bleiben«, sagt Lycidas, »weil es zu Ihnen gehört.«
    Sie kann es nicht fassen.
    Das Licht ist in ihr Auge zurückgekehrt.
    Sie sieht den Eispalast, in dem sie sich befindet. All die Kinder mit den Spiegelscherbenaugen, die regungslos umherstehen. Sie sieht das Irrlicht, das zu leuchten beginnt und sich verwirrt in die Luft erhebt. Sofort kommt Dinsdale zu ihr geflogen. Wärmt sie, wie er es schon damals in der Hölle tat.
    Sie sieht alles.
    Mara, die neben ihr liegt.
    Die ihre Augen öffnet, die so aussehen wie damals, als Emily ihrer Schwester im Waisenhaus begegnete. Die Arme streckt sie aus. Lacht und weint zugleich, als sie ihre große Schwester erkennt, die sie stürmisch umarmt.
    »Es gibt keine Zufälle«, sagt Lycidas.
    Erhebt sich.
    »Was geschieht jetzt?«
    »Die Dinge«, sagt er, »werden in Ordnung gebracht.«
    Die Flammen in seinen Augen züngeln gierig. Lycidas hält sich die Hände vor das Gesicht. Seiner Augen Feuer greift auf die Handflächen über. Runen bedecken sein Antlitz, als hätten die Flammen sie in die Haut gebrannt. Als er sich mit den lodernden Händen durch das Haar fährt, beginnt auch dieses zu brennen. Der Lichtlord wird von den Flammen verzehrt und singt dabei in der alten Sprache seiner Gattung das Lied, das Lilith damals zu singen begann, als sie ihr Leben für das seine in der Kathedrale von St. Paul’s hingab.
    Emily umarmt ihre Schwester und hält ihr die Hände vor die Augen.
    »Schau nicht hin«, flüstert sie.
    Und während das Feuer den Lichtlord verschlingt, weht ein Sturm durch den riesigen Eispalast.
    Die Kinder mit den Spiegelscherbenaugen verschwinden.
    Werden zuerst unscharf und lösen sich dann auf.
    Einfach so.
    Der Sturm nimmt sie mit sich.
    Klirrend fallen die Spiegelscherben zu Boden, die in den Augenhöhlen der Kinder gesteckt haben. Überall liegen sie im Schnee, wirbeln durch die Luft und vereinen sich im Tanz mit den Schneeflocken, die den Eispalast in ein Wintermärchen verwandeln.
    »Sie sind da, wo sie herkamen!«
    Eine mächtige Stimme erschallt.
    Die beiden Kinder sehen erschrocken auf.
    Es ist Lord Uriel.
    Der zurückgekehrt ist.
    »Lucifer hat den Preis gezahlt«, sagt der Lichtengel. »Wer hätte das gedacht.«
    Dort, wo eben noch Lycidas brannte, ist nur ein Haufen Asche, der im Schnee verweht.
    »Es ist vorbei.« Lord Uriel kniet an der Stelle nieder und nimmt einen Teil der Asche in die Hand. »Er ist von uns gegangen.« Wie ein Raubvogel hockt er da und riecht an der Asche, die einst sein Bruder war. »Bald wird er mit der Lichtlady vereint sein.« Die Feueraugen des Engels weinen keine Träne um den erloschenen Bruder. Betrachten nur die Mädchen, die, einander festhaltend, im Schnee kauern. »Einst waren Lucifer und ich wie ihr beiden.« Im Gesicht des Engels prangt das Glasauge, das Emily ihm damals als Pfand für seine Hilfe hatte geben müssen. Flammen umspielen das Auge, das all die Jahre über Emilys treuer Begleiter war. »Brüder.« Nur dieses eine Wort. Das alles sagt.
    Als Emily eine Frage stellen will, hebt Lord Uriel die Hand.
    Sieht das Mädchen gestreng an.
    »Sprich nicht mit mir!«, donnert der Lichtengel.
    Mit nur einem einzigen Schlag seiner mächtigen Schwingen ist er bei den Kindern, greift
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