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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas
Autoren: Christoph Marzi
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Schwester ertastete, sah nicht einmal mehr auf, als die Engel uns nach oben brachten. Ein Sturm aus Eis und Schnee war losgebrochen, doch die Engel brachten uns sicher nach oben. In die Hölle. In Pairidaezas Kathedrale, wo sich der Lebensbaum aus einem Meer verstümmelter Nekir und toter Rattlinge erhob. Der Wyrm, der einige Verletzungen hatte davontragen müssen, lebte noch und wurde von kleinen Nekir umsorgt.
    Die Kinder des Limbus schienen zurückgekehrt zu sein dorthin, von wo man sie hergerufen hatte.
    »Wir hätten sie nicht zurücklassen sollen.«
    Dieser Tunnelstreicher!
    »Wir hatten keine Wahl«, antworte ich.
    Erschöpft reibe ich mir die Augen.
    Warte.
    Darauf, dass sich die Tür zum Raritätenladen öffnet und Emily Laing endlich hereinkommt.
    So viele Neuigkeiten gäbe es zu berichten.
    So viele Dinge, über die es sich zu reden lohnt.
    »Es gibt keine Zufälle«, flüstere ich.
    Schlürfe missmutig den Tee.
    Wäre Steerforth nicht aufgetaucht, dann hätten sich die Mädchen niemals gestritten. Wäre Aurora nicht gestorben, so hätte Emily ihr Augenlicht behalten. Wäre sie aber dennoch dazu in der Lage gewesen, die Täuschung des Nyx zu erkennen, wenn sie sehend gewesen wäre? Verdankten wir unsere Rettung nicht gerade ihrer Blindheit? Wie wäre dies hier wohl zu Ende gegangen, wenn die Dinge anders gewesen wären? Wenn sie nicht die blaue Jacke, die ich ihr damals geschenkt hatte, getragen hätte? Die Jacke mit den Steinen in der Tasche. Jenen Steinen, die wir gebraucht hatten, um das Licht zu erzeugen.
    Letzten Endes hatten uns alle Missgeschicke und Schicksalsschläge genau hierher geführt.
    An diesen Tisch.
    An dem ich mit Mièville sitze und auf die beiden Kinder warte. Von dem aus ich den alten Mr. Dickens beobachte, wie er die zerfledderten Bücher einsortiert. Emily, denke ich, hat so viel Zeit in diesem Raritätenladen verbacht. Eigentlich, wird mir bewusst, ist dies hier ihr Zuhause.
    Irgendwie.
    »Da!«
    Mièville weist mich auf die Tür hin, die sich knarrend öffnet.
    Inmitten einer Wolke aus Schnee steht sie da.
    Emily Laing.
    Sieht uns an.
    Lächelt.
    »Er ist tot.«
    So beginnt ihre Erzählung.
    Die uns hinabführt in den Abgrund, der der Nyx war und jetzt ein Eispalast ist.
    »Er war so traurig.«
    Es ist Lycidas, von dem sie spricht.
    Der dem Waisenkind aus Rotherhithe seine Hilfe angeboten hatte.
    Selbstlos, wie es gar nicht seine Natur war.
    »Es ist vorbei.«
    Emilys Worte weben ein Bild von den Geschehnissen, deren Zeugin sie im Abgrund gewesen ist.
    »Uriel wird sie nicht wieder erwecken können.« Emily denkt zuerst, Lycidas spricht von ihrer Schwester, doch dann wird ihr klar, dass er seine Geliebte meint. Lilith. Die ihr Leben für ihn gegeben hat.
    »Nichts in der Welt wird sie wieder lachend machen. Lebendig.«
    Emily schweigt.
    »Die Welt wird leer sein ohne sie.« Lycidas’ Stimme ist eine Melodie, die wehmütig stimmt. »Am Ende ist dies die einzige Erkenntnis, die mir geblieben ist. Das einzige Wissen, das zählt. Nach all den Forschungen. Nach all den Erfahrungen. Nur diese eine Erkenntnis. Ist es nicht der Verlust, der dem Leben einen Sinn gibt? Oder ihm eben jeden Sinn nimmt?«
    Emily fühlt das kalte Gesicht ihrer Schwester unter ihrer Hand.
    Sonst nichts.
    Da sind keine Gedanken mehr, die sie mit Mara verbinden. Keine Bilder und nicht einmal mehr Erinnerungen. Versucht sie zu Mara zu gelangen, dann betritt sie ein leeres Haus, dessen Räume verlassen sind. Rein gar nichts mehr befindet sich dort. Höchstens etwas, das sich noch nicht zeigen will. Das sich in den dunklen Ecken verbirgt. Darauf wartet, zu Kräften zu kommen.
    »Ich werde sie heilen«, verspricht Lycidas.
    Emily erinnert sich daran, wie er sie im Tower vom Gift des Nekir geheilt hat.
    »Nein, Kind, so wird es nicht sein.«
    »Sie lesen meine Gedanken?«
    Er seufzt.
    »Wir müssen alle einen Preis zahlen, Emily Laing.«
    Sie sagt: »Ich weiß.«
    »Sie haben Ihr Augenlicht gegeben, um einen Fehler wieder gutzumachen.«
    »Ich liebe Aurora.«
    »Alles hätten Sie für Ihre Freundin getan.«
    »Ja.«
    »Nun, ich würde alles tun, um wieder mit Lilith vereint sein zu können.« Lycidas ergreift die zitternde Hand des Mädchens. »Aber manche Dinge bleiben selbst den Engeln verwehrt.«
    Emily lauscht der Stille.
    Dem Heulen des Schneesturms, der um sie herum tobt.
    »Mr. Fox und Mr. Wolf«, sagt sie, »sind tot.«
    Lycidas winkt ab. »Das waren sie schon oft. Zuletzt starben sie in einer Metropole, die
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