Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
Vom Netzwerk:
letzten Posaunenschall. Die Posaune wird ertönen, die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden.«
    Posaune. Es war vorauszusehen gewesen. Ich sah meine Großmutter von der Seite an. Sie hatte wenig von meinem Vorschlag gehalten, die Musik von Blood, Sweat & Tears in die Trauerfeier einzubeziehen. Mein Vater war sein Leben lang ein Fan dieser Band gewesen, insbesondere der Posaunisten. In der Bibel erschallten ständig Posaunen, das wusste man doch. Nichts hätte die Zeremonie passender untermalt als der Song And When I Die: I’m not scared of dying / And I don’t really care / If it’s peace you find in dying / Well then let the time be near.
    »Das ist doch nicht dein Ernst«, hatte sie gesagt. »Dein Vater hat uns zu Lebzeiten genug mit dieser fürchterlichen Musik gequält. Deine Kusine Imelda singt das Ave Maria von Schubert, und damit basta. Sie ist im Kirchenchor und hat einen wunderbaren natürlichen Sopran.«
    Ich hatte nicht lockergelassen, war zu Hochwürden Wojcik gegangen und hatte ihm meine Idee unterbreitet.
    »Normalerweise werden profane Musikstücke in den Riten der römisch-katholischen Kirche nicht toleriert«, hatte er gesagt.
    »Ich bin sicher, es wäre im Sinne meines verstorbenen Vaters«, beharrte ich.
    Er seufzte und fuhr sich mit einer schlaffen Hand langsam durchs Haar. Seine Finger waren lang und knochig, der gelbliche Handrücken schwarz behaart.
    »Haben Sie den Text bei sich?«, fragte er.
    »Das nicht, aber ich kann Ihnen das Lied vorsingen«, bot ich an. »Können Sie Englisch?«
    Er seufzte wieder.
    »Natürlich. Ich habe ein Semester am Trinity College in Dublin studiert. Singen Sie. Niemand soll sagen, dass die eine heilige katholische und apostolische Kirche Anregungen nicht offen gegenübersteht.«
    Ich sang And When I Die . Hochwürden Wojcik hörte zu und schüttelte betrübt den Kopf.
    »Nein, nein«, sagte er leise, in bedauerndem Tonfall. »Unmöglich. Dieser Gesang steht in eindeutigem Widerspruch zur rechten Lehre: I can swear there ain’t no heaven. Verstehen Sie? Hier wird die Existenz des Paradieses geleugnet. Das ist Häresie. Es tut mir leid.«
    »Sie sollten Ihre Galle untersuchen lassen«, sagte ich, bevor ich ging.
    Das Ave Maria von Schubert gefiel mir nicht. Meinem Vater hätte es auch nicht gefallen. Meine Kusine Imelda, ein feistes weißblondes Geschöpf mit Basedow-Augen, Klassenbeste in der Weinbauschule in Silberberg, trug das Musikstück mit Inbrunst und durchdringender Stimme vor. Man spürte, sie war gläubig.
    Der Gottesdienst dauerte lange. Mein Vater, der im Dorf unbeliebt gewesen war, weil er ein aufsässiges Naturell gehabt und sich nicht ins Kollektiv eingefügt hatte, wurde von Hochwürden Wojcik als geselliger, populärer, hilfsbereiter Mensch und wertvolles Mitglied der Pfarrgemeinde bezeichnet, sein viel zu frühes Hinscheiden, das ihn jäh aus unserer Mitte gerissen habe, als unersetzlicher Verlust für die Gemeinschaft beklagt. Ich dachte daran, dass mir meine Großmutter erzählt hatte, mein Vater sei als Kind derart schwer zu behandeln gewesen, dass sie verzweifelt beim Pfarrer Rat gesucht hätte, der ihr vorschlug, den Buben bei besonders heftiger Renitenz mit Weihwasser zu besprengen und dazu laut und energisch die Worte »Fahr aus!« zu sprechen. Danach würde der Höllenfürst, der zweifellos von Körper, Geist und Seele des unglückseligen Kindes Besitz ergriffen habe, augenblicklich von ihm ablassen. Er empfahl ihr auch, ihn körperlich zu züchtigen, so wie es die Bibel verantwortungsvollen Eltern, die ihre Kinder liebten, ans Herz legte. Das Brechen des ungebärdigen Willens eines jungen Wesens liege in seinem eigenen Interesse, ganz abgesehen von dem Gottes.
    »Was hätte ich tun sollen?«, hatte meine Großmutter gefragt und mich mit ihren schwarzen Hexenaugen durchbohrt. »Ich musste seinen Rat befolgen. Aber es hat nichts genützt, der Leibhaftige hat sich nicht austreiben lassen. Ein stures Kind, dein Vater. Und dann tut er mir das an und tritt aus der Kirche aus! Als könnte man die Taufe rückgängig machen!«
    Sie hatte sich um alles gekümmert, hatte erstaunlich flink für ihr Alter und heiter für den Anlass die nötigen Amtswege erledigt, das Bestattungsunternehmen kontaktiert, die Anzeigen verschickt, den Sarg gekauft, den Ablauf der Begräbnisfeier mit dem Pfarrer besprochen und ein Gasthaus für den Leichenschmaus ausgewählt.
    Der Pfarrer redete noch immer. Es fiel mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher