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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Autoren: Goliarda Sapienza
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Hof zu machen –, deine Sekretärin also sagt, ohne dich habe sie Angst … Wie schön du bist! So mußt du immer bleiben.«
    Modesta: »Das wäre ein wenig zu lang, was meinst du, Bambú?«
    Carlo: »Na ja, wenigstens so lange, bis ich dein Ebenbild in einer eigenen Tochter nachgebildet habe, oder in einem großen Roman.«
    Bambú: »Dafür werde ich schon sorgen!«
    Carlo: »O nein, Bambú!«
    Bambú: »O ja!«
    Carlo: »Na gut, wir können ihn ja zusammen schreiben.«
    Modesta: »Zusammen oder nicht, jedenfalls dürft ihr ihn nicht sofort schreiben, weil ich vorhabe, hundert Jahre alt zu werden. Über die Lebenden schreibt man nicht.«
    Bambú: »Was für schöne Rosen, Carluzzu! Warum hast du sie dort auf den Tisch geworfen? Ich stelle sie in eine Vase, sie brauchen Wasser.«
    Carlo: »O Bambú, nimm mich in die Arme, bevor du dich um die Rosen kümmerst, zum ersten Mal werden wir für eine lange Zeit getrennt sein.«
    Bambú: »Hört euch das an! Und als du nach Amerika gegangen bist?«
    Carlo: »Schau nur, Modesta, sie hat Tränen in den Augen!«
    Bambú: »Nun reite nicht noch darauf herum, Carluzzu! Alle reist ihr ab, ich weiß ja, daß es richtig ist, aber es macht mich eben traurig.«
    Carlo: »Ich komme doch zurück, Bambú, der Militärdienst dauert nicht ewig.«
    Bambú: »Kommst du wirklich zurück?«
    Carlo: »Natürlich! Und ich werde dir berichten, was ich alles erlebt habe. Was nützen schon die besten Erfahrungen, wenn du sie hinterher nicht deinen Leuten daheim erzählen kannst, auf der Piazza, in der Bar?«
    Bambú: »Du mußt einen Hang zum Sadismus haben, Carluzzu, laß es dir gesagt sein. Ich wette, du reist nur ab,um uns ein wenig leiden zu sehen. Aber ich gehe dir nicht mehr auf den Leim, lieber lenke ich mich nebenan mit den Blumen ab.«
    Carlo: »Wirst du mich denn nicht zum Bahnhof bringen?«
    Bambú: »Natürlich, um zu sehen, wie du dich über meine Tränen freust. Er ist ein wahres Monster, dieser Bursche!«
    Carlo: »Weißt du eigentlich, Tantchen Bambú, daß du genial bist?«
    Bambú: »Warum? Ist das eine Finte, um mich noch ein wenig länger hier leiden zu lassen?«
    Carlo: »Du hast recht, wahrscheinlich sehe ich es wirklich gerne, wenn ihr wegen mir leidet. Ich glaube, das ist, weil ich als Kind immer alle habe weggehen sehen und manche nicht zurückkamen. Es muß eine Art Rache sein: andere die Verlassenheit spüren lassen, die ich selbst gespürt habe.«
    Bambú: »Könnte sein, Carluzzu, aber es kommt mir doch ein bißchen zu simpel vor, auch aus Sicht der Psychoanalyse …«
    Carlo: »Mody, warum hast du die Augen geschlossen, vor Rührung?«
    Modesta: »Aber sicher, wenn du es so darauf anlegst.«
    Carlo: »Mody, ich habe dir das Buch eines gewissen Pierre Daco mitgebracht, eines Scheißpriesters, wie Nina sagen würde. Schau: ›Psychologie für Jedermann‹. Habe ich gestern in einem Rutsch durchgelesen, dieser Bastard macht daraus eine christliche Angelegenheit, ich habe meinen Augen kaum getraut.«
    Modesta: »Wundert dich das etwa? Bald werden wir auch einen christlichen Materialismus haben. Die sind ja nicht von gestern, wie Nina immer sagt.«
    Carlo: »Da muß man doch etwas unternehmen!«
    Modesta: »Das wirst du, Carluzzu.«
    Carlo: »Aber ich habe Angst. Sie sind mächtig, Mody! Ach, beinahe hätte ich’s vergessen, sieh dir dieses Titelbild an.«
    Modesta: »Seit wann kaufst du denn den ›Economist‹?«
    Carlo: »Schau da, hier neben Brandt … Ist das nicht das männliche Ebenbild von Joyce?«
    Auf dem Titelblatt ein perfekt geformter Kopf, kahl, mit zwei schwarzen, an den zarten Schläfen schmerzlich geneigten Augen, die mich aufmerksam ansehen. Timur lächelt ironisch und selbstsicher, als läge unser Frühstück auf der Terrasse des San Domenico in Taormina nur wenige Stunden zurück.
    »Ihr seid immer noch dieselbe, Fürstin …«
    Wer außer ihm würde mich noch so nennen? Ich wußte, daß ich ihn wiedersehen würde, doch niemals hatte ich erwartet, seine Stimme in diesem verlassenen Istanbuler Café wieder zu hören, umringt von Grabsteinen, die wie verfaulte Baumstümpfe in die Höhe ragen.
    »Ich hatte nicht den mindesten Zweifel.«
    »Auch Sie, Timur, haben sich nicht verändert.«
    »Menschen mit hoher moralischer Spannung bleiben vom Alter unberührt wie der unsterbliche Marmor der Tempel. Nein, geht nicht, schenkt mir ein paar Momente Eurer kostbaren Zeit. Euer Lächeln ist Balsam für meine Sehnsucht.«
    »Sehnsucht, Timur?«
    »Ja, ich gebe es
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