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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe
Autoren: Goliarda Sapienza
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ernst ist.
    »Du hast recht, Mody, ich bin etwas aufgedreht wegen der Reise. Letztlich bin ich genauso neurotisch wie meine ganze Generation.«
    »Auch wir waren neurotisch, Carlo, nur daß wir es noch nicht wußten.«
    »Diese Zeitschrift, die die Ursache deines Unwohlseins war, nehme ich mit … Nur ein Wort, Mody, was hat dich so verwirrt?«
    »Lies das Titelblatt, Carlo, es ist offensichtlich.«
    »Und was, Großmutter?«
    »Ich finde, wir waren anmaßend. Ich halte den Moment für gekommen, sich einzugestehen, daß wir immernoch nicht mehr sind als ein kleines, zerstreutes Grüppchen Antifaschisten, genau wie vor vielen Jahren.«
    Warum schweigen jetzt alle und blicken vor sich auf den Boden wie an Pietros Totenbett? Vielleicht bin ich krank, und sie verbergen es vor mir wie immer bei solchen Gelegenheiten? Dieser Fremde – Musiker oder Arzt oder was auch immer –, der ein wenig abseits steht und Bambolina ansieht, ist nett, aber zu groß und vollkommen, zu glatt, wie man bei uns sagt.
    »Dann begleitest du mich also tatsächlich nicht zum Bahnhof, Großmutter?«
    »Nein, Carlo.«
    Endlich sind sie weg, und ich kann in Ruhe ein Bad nehmen, mich anziehen und – warum nicht? – eine Zigarette rauchen und dabei die schönen roten Rosen betrachten, die in der Sonne zittern. Die Zigarette schrumpft in meinen Fingern, und ich verharre zögernd zwischen einem Trauerfall, einem Fest, einem Abschied. Ich war versucht, auf Carmelo zu bleiben, doch nun läßt mir die Stille dieser Mauern das Blut in den Adern gefrieren. Selbst am Fenster kann mich die Sonne nicht wärmen, ebensowenig wie Pietros Gruß, der, ohne zu lächeln und festen Schrittes, um die Ecke der Villa biegt.
    »Oh, Kätzchen, was machst du hier so allein? Komm, wir begleiten dich … Marco, komm zurück, mein Kätzchen kommt jetzt runter, nicht wahr, Kätzchen?«
    Einen Moment lang betrachte ich den Mann, der mitten in der Bewegung innehält. In seiner Unentschlossenheit liegt eine gewisse Komik.
    »Wenn diese Villa nicht voller Menschen ist, wird sie einem geradezu unheimlich. Los, Mody, komm runter, wir hauen ab!«
    Nina hat recht, für junge Leute gibt es hier Luft,Raum, Licht, aber für mich ist das Licht durch die Schatten der Vergangenheit getrübt. Außerdem spüre ich deutlich Ninas Sorge um mich; sie kennt das Gefühl der Verlassenheit, der Trauer, kennt die Stärke jeder Mauer. Ihr muß ich folgen.
    »Endlich! Was hältst du davon, Mody, eine Runde schwimmen zu gehen, um all die Abschiede und Beerdigungen von uns abzuschütteln? Wie merkwürdig ist das Leben doch! Jahrelang sind alle zusammen, und dann verläßt uns auf einmal Olimpia, heiratet, bekommt ein Kind … und nun Carluzzu. Und im Kopf das ganze Geratter von anfahrenden Zügen und die schrillen Pfiffe der Stationsvorsteher!«
    In der kurzen Zeitspanne der Autofahrt verwandelt sich der Mann am Steuer in jemanden, den ich schon seit Urzeiten zu kennen glaube. Doch vielleicht liegt es nur daran, daß ich ihn zuvor immer unter vielen Menschen gesehen habe. Oder ist es dieses »Marco«, das Nina mir zugeflüstert hat, was ihn so vertraut erscheinen läßt? Oder ist es nur, weil er jetzt lacht und Nina den Strand entlang hinterherläuft?
    Sie lachen, und ich habe mittlerweile gelernt, einen Kopfsprung zu machen. Bambolina hat ihn mir beigebracht. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, stoße mich ab, und hinein ins Wasser. »Wenn du drin bist, schwimmst du einen Zug, du brauchst keine Angst zu haben, das Wasser trägt dich von selbst wieder nach oben.« Das kalte Wasser hat wohl die Bettschwere von mir abgewaschen, denn als ich die Augen öffne, bin ich wach und sehe endlich den Himmel, dessen Bläue mit der glatten Oberfläche des Meeres wetteifert.
    Ohne Kleider wirkt der Mann kleiner und beweglicher. Auch Nina stürzt sich mit ihren langen Mädchenbeinenin gespielter Flucht vor diesem Mann in die Wellen wie damals mit Carluzzu und wie gestern noch mit dem kleinen Ignazio. Der einsame Strand verführt zu diesem Spiel, und hinter den Armen, Zähnen, Pfoten aus Lava, die sich weit über den Sand recken, kann man sich gut verstecken. »Los, Nina, laß uns Verstecken spielen! Zähl bis hundert, und du, Großmutter, paß auf, daß sie nicht guckt … Ich hab dich, Nina, du kannst rauskommen aus deinem Versteck …«
    »O nein, Kätzchen, in der Sonne wird nicht geschlafen. Wie geht es dir?«
    »Gut, Nina, aber warum machst du so ein trauriges Gesicht? Du wirst mir doch nicht etwa so ängstlich
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