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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne
Autoren: Friedrich Ani
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aufgefallen war. Die Vernehmung hätte jedoch keine Verdachtsmomente ergeben.
    Auf die Frage, ob die Kinder definitiv noch am Leben seien, antwortete Paulsen: »Davon gehen wir im Moment aus.«
    Warum die Kinder sich nach ihrer Flucht nicht meldeten, stellten sowohl die Kripo als auch die Angehörigen vor ein unfassbares Rätsel, meinte Paulsen.
    Hundertschaften des Landeskriminalamtes würden seit Tagen die Insel durchkämmen, bisher ohne Erfolg. Die Tatsache, dass die Kinder die Insel ausschließlich mit dem Zug verlassen haben könnten – die wenigen Fähren zu anderen Inseln, die zu dieser Jahreszeit fuhren, seien überprüft worden –, verwirre die Ermittler zusätzlich. Kein Schaffner habe die Kinder gesehen, das sei sicher, betonte Paulsen.
    Seit Tagen schlief der siebenundvierzigjährige Kommissar kaum noch, und wenn, dann träumte er, seine Kinder, die fünfjährigen Zwillinge, seien verschwunden und er irre durch einen schwarzen Wald und wollte ihre Namen rufen. Doch sie fielen ihm nicht mehr ein.

26
    »Deine Idee war superclever«, sagte Sophia.
    »D-danke«, erwiderte Maren, in ihren Pelzmantel gehüllt.
    »Da hat uns niemand gesucht.«
    »N-niemand, n-nie.«
    »Wie bist du draufgekommen, Maren?«
    »I-Intu-Intuition.«
    »Magst du noch ein Stück Kuchen?«
    »N-nein, d-danke. Sch-schmeckt r-richtig nach Ä-Äpfeln.«
    »Deswegen hab ich ihn gekauft.« Mit den Händen aß Sophia den Rest des Kuchens auf und dachte wieder daran, wie sie unter die Autos auf dem Zug gekrochen waren, nachdem sie den schwarzen Protzwagen einfach im Parkhaus abgestellt hatten.
    In den Autos saßen die Besitzer und kriegten nichts mit. Es war Nacht, niemand achtete auf einen stinknormalen Autoreisezug. Alles, was sie schaffen mussten, war, ungesehen über die Zufahrtsstraße und den Parkplatz zu gelangen.
    Sie hatten schon so vieles andere geschafft.
    In Nering auf dem Festland, wo die Fahrzeuge den Zug verließen, waren sie von den Waggons gesprungen und hatten sich hinter einem Schuppen versteckt. In welchem Ort der Autozug halten würde, wussten sie von einem Fahrplan am Seilheimer Bahnhof. Alle waren stolz auf Marens Idee gewesen und sie freute sich noch immer darüber.
    Von Nering in die Hafenstadt, in der sie jetzt waren, hatten sie sich ein Taxi genommen. Der Fahrer war in der Nähe pinkeln gewesen und verhedderte sich irgendwie an seinem Hosenschlitz, sodass er es nicht rechtzeitig zurück zu seinem Auto schaffte.
    Wer achtete in der Nacht auf ein unbeleuchtetes Taxi?, hatte Sophia während der Fahrt gedacht. Im Vergleich zu dem schwarzen Voyager kam ihr der alte Mercedes wie ein vertrautes Spielzeugauto vor. Die Kiste hatte nicht einmal ein Touchscreendisplay und offensichtlich auch kein GPS . Jedenfalls kamen sie unbehelligt nach zwei Stunden an ihrem Ziel an.
    Sie hatten keine Ahnung, was sie in der Stadt sollten. Und wie lange sie bleiben und wohin sie danach gehen würden.
    Über solche Dinge redeten sie nicht.
    Am Hauptbahnhof hatten sie zwei Mädchen und einen Jungen angesprochen, die aussahen, als kämen sie im Leben alleine zurecht. Sie hatten Glück. Die Jugendlichen lebten auf der Straße und übernachteten gelegentlich in einem Abbruchhaus am Rand eines Straßenstrichs. Sophia und die anderen folgten ihnen dorthin.
    Dann waren Leon und Eike noch einmal mit dem Trio losgezogen, um etwas zu essen und zu trinken zu besorgen. Geld hatten sie genug. Conrad war im Haus geblieben, um, wie er sagte, Wache zu schieben. In einer Ecke des leeren Zimmers ging er hin und her und wollte nicht angesprochen werden.
    Er kam nicht damit zurecht, dass er nicht das kleinste Bedürfnis verspürte, seine Eltern anzurufen. Dass er schon tot gewesen und wieder am Leben war. Dass ihm die beiden toten Männer nicht leid taten und die tote Frau auch nicht. Dass er nichts spürte. Dass er, wenn er die Augen schloss, nichts sah, nicht den Funken eines Traums. Dass ihm das alles egal war und alles andere genauso.
    »W-woran d-denkst d-du?«, fragte Maren Sophia.
    »An die Frauen unten auf der Straße. Könntest du deinen Körper verkaufen?«
    »M-mein K-Körper ist n-nichts m-mehr w-wert.«
    »Meiner auch nicht.«
    »Ich werd nie Kinder haben.«
    »W-wir waren j-ja auch n-nie w-welche.«
    »Doch«, sagte Sophia.
    »W-wann denn?«
    »Früher. Als wir noch schön waren. Damals.«
    Sie schwiegen und ertrugen es kaum.
    »V-vermisst d-du j-jemanden?«
    »Ja.«
    »W-wen d-denn?«
    »Noah.«
    Maren zog den Pelzmantel noch enger um ihren
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