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Die unterirdische Sonne

Die unterirdische Sonne

Titel: Die unterirdische Sonne
Autoren: Friedrich Ani
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Luft.
    Sophia streckte ihren Arm über den Tisch, und die anderen drei legten ihre Hände darauf.
    Jemand drehte den Schlüssel im Türschloss.

24
    Der Mann mit dem Schnurrbart brachte ein Holztablett mit einem grauen Topf, vier weißen Schälchen und vier Löffeln. Bevor er die Tür aufgesperrt hatte, hatte er das Tablett auf den Boden gestellt, und jetzt wartete er, dass jemand es abholte.
    »Suppe für euch«, sagte er. »Brav aufessen. Mehr kriegt ihr nicht.« Die Hände hinter dem Rücken, stand er reglos vor der offenen Tür.
    Die Jugendlichen saßen am Tisch, Leon und Conrad mit dem Rücken zur Tür, sechs Hände auf Sophias Arm.
    Etwas in ihnen hatte sich verändert und war nicht wiedergutzumachen, sie wussten es und konnten es nicht benennen. Sie spürten es auf Sophias Haut, die ihre eigene war.
    In dem Moment, als sie das vertraute Geräusch des Schlüssels hörten, war ihnen bewusst, dass, wenn sie sterben mussten, die Menschen von ihnen erlöst wären.
    Wenn sie jedoch wider Erwarten nicht starben, würden sie nie wieder zu den üblichen Menschen gehören.
    Darüber brauchten sie nicht zu sprechen. Sie lasen sich gegenseitig aus ihren Blicken. Da stand, dass Conrad keine Träume mehr besaß und Maren keine Sanftmut mehr, dass Leon sein Blut verabscheute und Sophia von niemandem mehr umarmt werden wollte.
    Sophia stand auf, ging zu dem Mann, hob das Tablett hoch und trug es zur Anrichte. Er sah ihr hinterher und berührte mit der Zungenspitze seine Unterlippe.
    Bevor sie das Tablett abstellte, zögerte Sophia. Dann warf sie einen Blick über die Schulter zum Tisch und verschwand im Bad. Kurz darauf war ein Stöhnen zu hören. Es klang, als würde jemand ersticken.
    »Rauskommen«, rief der Mann an der Tür. Conrad stand auf. Gleichzeitig setzte der Mann sich in Bewegung. Er schob Conrad, der das Bad schon erreicht hatte, beiseite und trat ins Dunkel. Conrad folgte ihm. Als er sah, was Sophia tat, reagierte er sofort.
    In der verschatteten Nische vor der Duschkabine hatte sie auf den Mann gewartet. Sie nutzte seine Verblüffung, wickelte in einer einzigen schnellen Bewegung eines der nassen Handtücher um seinen Hals und zog zu. Conrad packte das eine Ende des Handtuchs und trat dem Mann mit dem Knie zwischen die Beine.
    In der Zwischenzeit waren auch Leon und Maren näher gekommen.
    Conrad und Sophia zerrten den taumelnden Mann zurück in den Raum und zogen das Handtuch wie eine Schlinge immer fester zu.
    Maren nahm den Suppentopf und schüttete ihn dem Mann ins Gesicht. Die Brühe war nicht heiß genug, aber es reichte, um ihn zu blenden. Während er auf die Knie sackte, holte Leon wie bei einem Elfmeter aus und trat zu. Und weil er den Eindruck hatte, sein Schuss war noch nicht perfekt genug, nahm er Anlauf und erwischte den Ball voll mit dem Spann. Der Ball spuckte etwas aus, dann kam eine gerötete Zunge zum Vorschein.
    Beide, Conrad und Sophia, hatten das zusammengerollte Handtuch um ihre rechte Hand gewickelt und zogen mit der linken weiter zu. Das Gesicht des Mannes nahm eine fantastische Farbe an, die keiner der Jugendlichen je vorher gesehen hatte.
    »Hat jemand die Zeit gestoppt?«, fragte Leon beim Anblick des Toten.
    Conrad und Sophia waren im Bad und tranken gierig Wasser.
    »Z-zehn M-Minuten u-ungefähr«, sagte Maren.
    »Der hat uns böse unterschätzt.«
    Conrad und Sophia kamen zurück und machten einen Bogen um den schwarzen Körper und die Sauerei auf dem Boden.
    »B-Bravo«, sagte Maren. Sie stand an der offenen Eisentür und behielt den Keller im Auge, wie eine Wächterin.
    Leon ging zu ihr. »Wenigstens hat er nicht rumgebrüllt.«
    »Hab Angst gehabt, wir schaffen es nicht«, sagte Conrad.
    »Ich wusste, wir schaffen es«, sagte Sophia. »Der Kerl ist alt.«
    Eine Weile standen sie zu viert an der Tür. Dass niemand auftauchte, erschien ihnen eigenartig.
    »Gehen wir«, sagte Conrad. Er wartete, bis die anderen bei der Treppe waren, schloss leise die Tür und drehte den Schlüssel, der immer noch im Schloss steckte.
    »Verhungern braucht der da drin nicht mehr«, sagte Leon.
    Die Luft war kalt und roch nach Moos und nasser Erde. Trotz ihrer dünnen Kleidung spürten die vier die Kälte nicht. Hintereinander – Conrad und Sophia vorneweg – stiegen sie die schmale Steintreppe hinauf. Sie kannten den Weg, die Wände und Türen. Die Kellertür zum Hausflur war angelehnt, aus einem Zimmer drangen Stimmen. Ein Fernseher lief.
    An der Garderobe im Flur hingen ein Pelzmantel, ein gelbes
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