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Die unsterbliche Braut

Die unsterbliche Braut

Titel: Die unsterbliche Braut
Autoren: Aimée Carter
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seltene Gabe …“
    „Über meine eigenen Füße zu fallen und mich bei jeder Entscheidung, die ich treffe, zu irren?“, warf ich trocken ein, und er legte mir einen Finger auf die Lippen.
    „Nicht bei jeder Entscheidung“, scherzte er, doch dann wurde sein Blick ernst. „Ich wünschte, du könntest dich so sehen, wie ich dich sehe. Du hast die außergewöhnliche Fähigkeit, Menschen – und Götter – zu einen, wenn sie sich nichts sehnlicher wünschen, als wegzugehen und niemals zurückzukehren. Du erkennst die einfachsten Lösungen, wo wir oft nur die Komplikationen sehen, und selbst in den unmöglichsten Situationen behältst du die Hoffnung. Aber vor allem verstehst du die Leute. Wenn du jemanden ansiehst, erblickst du nicht nur das, was er getan hat. Wie auch immer deine Gefühle demjenigen gegenüber sein mögen, du erkennst seine Motivation und besitzt das Mitgefühl, um sie nachvollziehen zu können. Das ist der Grund, aus dem ich weiß, dass du eine fantastische Königin sein wirst. Nicht einmal ich besitze eine solche Selbstbeherrschung.“
    Ich war mir nicht so sicher, ob er damit wirklich recht hatte, doch die Aufrichtigkeit in seiner Stimme ließ jeglichen Widerspruch auf meinen Lippen ersterben. Es spielte keine Rolle, ob seine Wahrnehmung von mir voreingenommen war; was eine Rolle spielte, war, dass er an mich glaubte.
    Nachdenklich zeichnete ich mit den Fingerspitzen ein unsichtbares Muster in die Kuhle über seinem Schlüsselbein. Das Klügste wäre, zu warten. Zu warten, bis der Krieg vorbei war, bis ich die Augen schließen und jede Person oder jeden Ort sehen konnte, die ich sehen wollte. Zu warten, bis ich vollendsverstand, was es bedeutete, zu leben und zu sterben. Doch als Henry mich mit diesen Augen in der Farbe von Mondlicht ansah, die im Schein der Kugel über uns glänzten, kannte ich die Antwort. Ich hatte mein Leben auf Eis gelegt, während ich darauf gewartet hatte, dass meine Mutter starb; jetzt würde ich nicht mehr warten. Ich durfte Henrys Hoffnungen nicht zunichtemachen, bloß weil ich mir nicht hundertprozentig sicher war, dass ich das hier schaffen konnte. Henry war sich sicher, und das bedeutete mir mehr, als ich jemals in Worte fassen könnte.
    „Ja“, sagte ich ohne den kleinsten Hauch von Unsicherheit. „Ich will deine Königin werden, wann immer du die Zeremonie abhalten kannst. Sobald ich zurückkomme, wenn du willst.“
    Henry nahm meine Hände in seine, und zwischen ihnen erschien ein glühendes gelbes Licht, ungreifbar und zugleich warm auf meiner Haut. „Ich sehe keinen Grund, so lange zu warten.“
    Meine Augen wurden groß, doch ich gab mir keine Gelegenheit, meine Entscheidung infrage zu stellen. Das war es, was ich wollte. Darauf hatte ich mich vorbereitet, seit Henry mich am Fluss neben Avas Leiche gefunden hatte, und Henry hatte recht. Es gab keinen Grund, zu warten. „Ich auch nicht.“
    Er lächelte, und das war alles, was ich brauchte, um zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Als meine Frau hast du dich bereit erklärt, die Verantwortung als Königin der Unterwelt auf dich zu nehmen. Du sollst gerecht und ohne Vorurteile über die Seelen derer herrschen, die die Welt dort oben verlassen haben, und von der Herbst-Tagundnachtgleiche bis zum Frühling eines jeden Jahres von heute an sollst du dich der Aufgabe verschreiben, jene zu führen, die irren, und sie alle vor Schaden über ihr ewiges Leben hinaus zu bewahren.“
    Ich hielt den Atem an, denn ich wusste, was als Nächstes kam. „Nimmst du, Kate Winters, deine Rolle als Königin der Unterwelt an und gelobst, die Verantwortung dieser Rolle unddie Erwartungen, die daran geknüpft sind, zu erfüllen?“
    Dieses Mal zögerte ich nicht. „Ja“, flüsterte ich.
    Das Licht zwischen unseren Händen verschwand, und für einen Moment waren wir in tiefste Dunkelheit gehüllt. Bevor ich jedoch auch nur blinzeln konnte, erglühte jede Lichtquelle im Raum zu blendender Helligkeit – zwischen unseren Händen, die Kugel über unserem Bett, selbst die Kerzen flammten auf –, und ein durchdringender Glockenschlag hallte im Schlafzimmer wider. Im Palast. In der gesamten Unterwelt, soviel ich wusste.
    „Meine Königin“, sagte Henry und küsste meine Fingerknöchel. „Ich bin geehrt.“
    „Das war’s also?“, vergewisserte ich mich und errötete. „Ich bin … ich bin jetzt deine Königin?“
    „Ich bin mir sicher, dass der Rat eine etwas formellere Zeremonie verlangen
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