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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide
Autoren: Ralf Isau
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umwandte. »Jetzt geh schon zum Tor! Sie werden versuchen an der schwächsten Stelle durchzubrechen.«
    Beorn taumelte davon. Seinen Platz nahm ein Bogenschütze ein. Nach wenigen Schritten blieb der Böttcher stehen. »Trevir!«, flüsterte er und rannte in die entgegengesetzte Richtung fort.
    »Sie kommen wegen des Kindes. Wir müssen es verstecken!« Mit diesen Worten stürzte er in sein eigenes Haus.
    Idana war schreckensbleich. »Was ist da draußen los?«
    Beorn fasste Helms Lagebeurteilung und seine eigenen Beobachtungen zusammen. Dann sprach er seine Ahnungen aus. »Frag mich nicht warum, aber sie wollen Trevir haben. Ich bin mir ganz sicher. Der dunkle Reiter heute Nachmittag – das war keine zufällige Begegnung. Er hat in voller Absicht beim Feenwald Posten bezogen. Er wusste von Anfang an über das Kind Bescheid. Und ich Narr glaubte, ihn getäuscht zu haben.«
    Idana schüttelte den Kopf. Tränen rannen über ihre Wangen. »Du bildest dir das alles bestimmt nur ein, Beorn. Es ist irgendein Kriegslord, der uns plündern will. Annwn ist ein wehrhaftes Dorf und diese Lumpen sind zu ungeduldig, um sich auf eine längere Belagerung einzulassen. Wir haben Bedrohungen wie diese schon oft durchgestanden. Du wirst sehen…«
    »Idana!«, unterbrach Beorn seine Frau. Obwohl er kaum die Stimme erhob, war doch das Grauen zu hören, das ihm in den Knochen saß. »Es ist das Schwarze Heer! Ich habe sie gesehen. Mologs Horde wird uns – insofern gebe ich dir Recht – nicht einen einzigen Tag belagern. Wenn wir ihnen nicht das Kind aushändigen, wird das Schwarze Heer uns einfach niederwalzen.«
    »Du willst doch nicht…«
    »Nein, Idana. Selbst wenn ich mit meinem Leben dafür bezahlen muss, werden sie Trevir nicht bekommen.«
    »Dann müssen wir ihn verstecken, bis der Sturm auf Annwn vorüber ist.«
    »Du hast schon wieder Recht.«
    »Lass uns das Kind in den Baum legen. Abgesehen von ein paar Spinnen wird es dort niemand finden.«
    »Wenn ich dich nicht hätte, Idana! So machen wir’s.«
    Gemeinsam lief das Paar mit dem Kind hinaus, um die Hütte herum und zu der alten Linde.
    »Als hättest du’s geahnt, mein Herz«, sagte Beorn, als er mit einem Talglicht in den hohlen Baum leuchtete. »Trevir wird auf seinem Lager aus grünem Gras die größte Schlacht in der Geschichte Annwns glatt verschlafen.«
    »Vielleicht kommt es gar nicht zum Kampf«, redete sich Idana ein.
    Ein lautes Krachen ganz in der Nähe machte ihrer Hoffnung auf einen glimpflichen Verlauf der Belagerung ein jähes Ende. Mit angstvollen Blicken wandte sich das Paar dem Schutzzaun zu, über den gerade ein Schwarm brennender Pfeile hinwegfegte. »Doch – er hat bereits begonnen«, murmelte Beorn.
    Idana kam schneller wieder zur Besinnung als ihr Mann. Rasch schob sie das Kind durch die Öffnung in den hohlen Baum und ließ es an einem Zipfel seines Leinentuches auf das Bett aus Gras hinab. Als ihr Kopf wieder zum Vorschein kam, war da einmal mehr dieses zuversichtliche Lächeln der selbstbewussten Schultheißtochter.
    »Jetzt lass uns das Dorf retten«, verkündete sie mit fester Stimme.
    Beorn umarmte seine Frau. Er drückte sie fester an sich, als ihr zarter Körperbau es als klug erscheinen ließ. Noch einmal küsste er ihren weichen Mund, aus dem er so viele liebe Worte vernommen hatte. »Eher sterbe ich, als dass ich euch schutzlos diesen Mordbrennern überlasse.«
    Gemeinsam liefen sie zum Tor hinüber. Beorn besaß weder Schwert noch Speer, nur seine Axt. Idana schwang drohend die Heugabel.
     
     
    Annwns Verteidigungsheer war ein Gegner wie alle anderen: schlecht ausgerüstet und wenig erfahren im Kampf. Nur die Moral eines um sein Leben kämpfenden Dorfes durfte nicht unterschätzt werden. Trotz seiner Jugend war sich Molog der damit verbundenen Risiken durchaus bewusst. Andererseits konnte er sich in diesem besonderen Fall kein langes Zaudern erlauben. Seine Strategie war ein Notbehelf. Am Ende würde das Dorf ihm gehören. Nur der Preis stand noch nicht fest.
    Die Schlacht um Annwn begann mit einem Paukenschlag. Den »Schlägel« bildete in diesem Fall ein mächtiger Rammbock, dessen Stoßfläche einem Widderkopf nachempfunden war. Die durchtrainierte Truppe gedrungener, ausgesprochen kräftiger Männer, die das ganze Gewicht des eisenbewehrten Baumstammes mit Anlauf gegen das Tor des Dorfes krachen ließ, wurde von hoch gewachsenen Kämpfern flankiert, die ihre Kameraden mit großen Schilden vor gegnerischen Geschossen
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