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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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sie. »Ich weiß.«
    »Sagen wir hundert.«
    »Hundert Euro?«, fragte sie erstaunt.
    Was machst du denn da? Wieso verlangst du so viel? So kauft sie mich doch nie!
    Endlich interessierte sich jemand für mich, und dann gebärdete sich Ferdinand, als wäre ich aus purem Gold.
    Ich hoffte inständig, dass nicht auch sie »wie blöd« sagen und den Laden wieder verlassen würde. Es wäre so schön, einmal wieder eine neue Aussicht zu genießen, jemanden zu haben, der mich … Ich traute mich kaum, diesen Gedanken weiter zu denken. Nach nochmaligem Klicken begann die Uhr zu schlagen. Der warme Ton des Geläuts klang durch den Raum. Ich zählte, um mich zu beruhigen.
    »Wie gesagt …«, brummte Ferdinand.
    »Ja, er ist alt. Ich weiß.«
    »Sammler würden für so einen …«
    »Aber er ist kein Sammlerstück«, unterbrach sie ihn.
    »Kennen Sie sich aus?«, fragte er skeptisch.
    »Gut genug, um zu sehen, dass er nicht aus einer bekannten Manufaktur stammt. Also, was meinen Sie … achtzig?«, fragte sie ruhig.
    »Was? Achtzig? Nein, wirklich.«
    »Kommen Sie, achtzig ist doch wirklich ein guter Preis für so einen lädierten Bären.«
    Was sagte sie? Lädiert? Fast wünschte ich, er würde den Preis wieder heraufsetzen. Zu einer Person, die mich nicht wertschätzte, wollte ich nicht. Das war noch nie gut gegangen.
    »Vergessen Sie nicht, dass das ein Bär mit Geschichte ist. Wer weiß, was der alles erzählen könnte.«
    »Ja, das glaube ich Ihnen sogar«, antwortete sie und lachte leise.
    »Also fünfundachtzig müssen es schon sein.«
    »Sie sind zäh«, sagte sie. »Aber ich auch. Hier haben Sie dreiundachtzig. Wegen der Geschichten, die in ihm drinstecken.«
    Ferdinand brummelte etwas, und plötzlich fiel sein Schatten von hinten über mich. Er beugte sich ins Schaufenster, hob mich hoch, schüttelte mir den Staub aus dem Fell und pustete mir kurz mit seinem Pfeifentabakatem ins Gesicht, wie er es einmal pro Halbjahr tat, wenn er das Fenster saubermachte.
    »So. Bittschön. Passen S’ gut drauf auf, wenn Sie mich schon so übern Tisch ziehen.«
    »Danke sehr«, sagte die junge Frau. »Ich habe einen guten Platz für ihn.«
    Ich bekam eine Plastiktüte über den Kopf und hatte eine neue Besitzerin.
    Es ist immer wieder das gleiche Kribbeln, wenn man einen neuen Besitzer hat. Es ist aufregend. Auch nach all diesen Jahren. So viele Hoffnungen knüpfen sich daran, selbst wenn man sich geschworen hat, diesmal wirklich nichts zu erwarten.
    Sie trug mich hinaus in den Frühlingstag, und ich war wieder wer. Ein Bär mit Geschichte, hatte Ferdinand gesagt. Und dabei nicht gelogen.
    Abends im Hotel wurde ich vorsichtig auf einen Sessel gesetzt.
    Die Schriftstellerin hatte ein schönes Zimmer, die Einrichtung erinnerte mich ein wenig an früher, an meine Zeit in London. Das Bett war groß mit einem riesigen Kopfteil und zahlreichen dicken Kissen, die Stühle hatten geschwungene Beine und rosébeige gestreifte Seidenbezüge, und vor dem nicht gerade sauberen Fenster hingen schwere Samtvorhänge. Der Sessel, auf dem ich saß, war aus altrosa Plüsch, und ich fand, dass ich mich hervorragend darauf machte. Viel besser als im Schaufenster jedenfalls.
    Sie hatte mich bewusst so hingesetzt, dass mein leicht nach rechts geneigter Kopf an der Armlehne ruhte. Es war gemütlicher so. Ich freute mich, dass sie mich so liebevoll behandelte. Sanfte Hände hatten mir gefehlt.
    »So«, sagte sie und band ihre dunklen Haare mit einer schnellen Bewegung zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Dann erzähl mal.«
    Sie ließ sich mir gegenüber auf dem Bett nieder und sah mich an.
    Ich hätte so viel zu erzählen. Durchdringend erwiderte ich ihren Blick, vielleicht hörte sie mich ja doch, wenn ich mir Mühe gab.
    Ich bin Weltbürger, aber gebürtiger Engländer, Bath 1921. Ich, also  …
    Ich war atemlos vor Aufregung.
    »Na, was habe ich auch erwartet«, sagte sie dann in das Schweigen. »Wir kennen uns ja kaum. Aber ich kann mir denken, dass du eine Menge erlebt hast. Was du wohl über die Menschen denkst? Wo du wohl herkommst? Und alles musst du für dich behalten, armer Bär.«
    Sie hatte mein Dilemma sofort erkannt. Schneller als ich selbst damals, als ich noch jung und ungestüm und voller niemals erlöstem Tatendrang war.
    »Eines verspreche ich dir«, sagte sie. »Du musst nie mehr in ein Schaufenster. Bei mir zu Hause bekommst du einen Ehrenplatz. Und wenn wir uns ein wenig besser kennen, erzählst du mir vielleicht auch ein bisschen
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