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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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fielen den Kindern die schönsten Spiele immer an Regentagen ein – mit Ausnahme von Robert, der hatte bei jedem Wetter neue Ideen.
    Ich kann nicht sagen, wie viel Zeit verging. Es mögen Minuten oder Stunden gewesen sein, die ich damit verbrachte, Menschen, Automobile und Busse, Pferdefuhrwerke und Regentropfen zu betrachten. Der kleine Erker im Erdgeschoss war der Manvers Street zugewandt und hatte freien Blick auf das Stadtgeschehen von Bath. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus und war erfüllt von einem unbändigen Drang nach Leben.
    Es klingelte ungeduldig.
    »Himmel, das ist Elizabeth, und ich bin noch nicht einmal frisiert«, hörte ich Alice rufen, obwohl ich sie nicht sah, und ich fragte mich, mit wem sie sprach.
    Ich vernahm allerlei Geräusche, und plötzlich kam Elizabeth Newman und mit ihr ein Schwall kalter Luft und vieler Worte herein.
    »Nein, was für ein Wetter, da prügelt man ja nicht mal einen Straßenköter vor die Tür, hab ich nicht recht? Herrjemine. Schau dir nur meine Schuhe an, völlig durchweicht. Ich sag ja, nicht mal einen Straßenköter. Aber versprochen ist versprochen, nicht wahr, keine Widerworte jetzt Alice. Und du hast ja leider keinen Fernsprecher.«
    Sie schüttelte missbilligend den Kopf, schlug energisch ihren Schirm aus, und Alice gelang es »Der Tee ist schon fertig« dazwischenzuschieben, bevor Elizabeth ihr Klagelied fortsetzte.
    »Liebes, ich sage dir, es ist ungeheuerlich, was einem heutzutage alles zugemutet wird. Der Autobus kam ganze zehn Minuten zu spät, und ich stand dort im strömenden Regen. Und dann hatte ich nicht einmal einen Sitzplatz und musste hinten auf der Plattform mitfahren. Man sollte sich beschweren, wenn man nur wüsste, wo.«
    In diesem Ton plätscherte ihr Gerede dahin, wie ein munterer Gebirgsbach nach der Schneeschmelze. Ich saß verwundert da und sog jedes Wort begierig auf. Ach, wie neu das alles für mich war. Hätte ich gewusst, dass es eine meiner wichtigsten Aufgaben werden würde, den Menschen zuzuhören, wäre ich in jenem Moment vielleicht nicht ganz so enthusiastisch gewesen.
    Teddys sind von Natur aus Zuhörer. Ein Bär verschließt alles, was man ihm sagt, tief in seinem Herzen. Geheimnisse sind bei unsereinem gut aufgehoben. Ich habe im Laufe der Jahre viel gehört. Manches hätte ich lieber nicht gewusst. Vieles habe ich nicht gutgeheißen. Doch ich habe meine Ohren niemandem verschlossen. Sie sehen vor sich einen der größten Zuhörer dieses und des vergangenen Jahrhunderts – in seiner Geburtsstunde auf die Probe gestellt von Mrs Elizabeth Newman.
    Die beiden Frauen nahmen im Salon Platz. Ich hatte einen hervorragenden Blick auf das Geschehen in der Sitzgruppe und konnte so den ersten Teebesuch meines Lebens hautnah mitverfolgen. Alice hatte kleine Teller eingedeckt, zartes weißes Porzellan, das jedoch deutliche Gebrauchsspuren aufwies. Die Tassen passten im Stil dazu, ebenso die Zuckerdose und das Milchkännchen. Winzig kleine Silberlöffelchen lagen auf den Untertassen, eine Zuckerzange ruhte auf dem weißen Tischtuch. Was vor einer Stunde noch die Nähstube einer alleinstehenden Frau gewesen war, hatte sich mit ein paar Handgriffen in einen ansehnlichen Salon verwandelt. In einer dreistöckigen Etagère aus Silber lagen unten Äpfel und Orangen, in der Mitte Bananen und Kirschen und ganz oben kandierter Ingwer und selbstgebackenes Shortbread. Elizabeth hatte bunte Sahnetörtchen mitgebracht, die inzwischen andächtig verspeist wurden.
    Der Kuchen verschlug der Besucherin für einen Moment die Sprache. Dann fragte sie zwischen zwei Bissen:
    »Hast du Neuigkeiten wegen William?«
    Alice senkte den Kopf. Es wurde still. Elizabeth hielt inne und blickte sie an.
    »Es ist jetzt amtlich«, erwiderte Alice leise. »Sie haben ihn für tot erklärt. Vorgestern.«
    »Oh, mein Liebes, das ist ja entsetzlich! Du armes, armes Kind. Dieser schreckliche Krieg. Was tun sie den Menschen nur an? Weißt du, ich bin nur froh, dass Barney nicht nach Irland musste. Hast du heute Morgen die Zeitung gelesen? Ein Waffenstillstand zwischen England und Irland sei nicht mehr ausgeschlossen, schreiben sie. Dem Himmel sei Dank.«
    »Ja«, sagte Alice. »Ihr habt Glück gehabt.«
    »Ach, du meine Güte, wie taktlos von mir, verzeih, Liebes, verzeih, dass ich so töricht bin. Wie konnte ich bloß … Immer denke ich an mich. Es ist nur – er ist ja schon so lange fort«, sagte Elizabeth jetzt ehrlich zerknirscht.
    »Vier Jahre, zwei Monate und fünf
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