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Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)

Titel: Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown (German Edition)
Autoren: Anne Helene Bubenzer
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Tage.«
    Tatsächlich schwieg Elizabeth Newman ausnahmsweise und schob sich wie zur Entschuldigung für ihre Einfältigkeit eine weitere Gabel Torte in den Mund.
    Ich sah von einer zur anderen. Irgendetwas war geschehen, es lag eine Spannung in der Luft, die mir nicht behagte. Schmerz? Jedenfalls war der leichte Plauderton plötzlich wie weggeblasen. Was hatte dieses Gespräch zu bedeuten? Wieso hatte Alices Stimme sich plötzlich so verändert, und wer war eigentlich dieser William, von dem nun schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag die Rede war?
    Ich brauchte jedoch gar nicht zu verstehen, worüber hier gesprochen wurde, um zu begreifen, dass es Alice sehr traurig machte. Und dass sich Elizabeth offenbar wie ein Elefant im Porzellanladen benahm, machte die Sache nicht besser. Sie hatte sich zwar entschuldigt, aber wieso tröstete sie Alice nicht? Ich fühlte mich hilflos.
    Ich glaube, in diesem Moment bekam ich zum ersten Mal eine leise Ahnung von meiner zweitwichtigsten Aufgabe: dem Trostspenden. Und es war von Anfang an mehr als eine Aufgabe. Ich verspürte in diesem Augenblick den tiefen Wunsch, Alice zu trösten. Zwar kannte ich sie noch nicht besonders gut, doch als sie mir meinen Namen gab, hatte ich sie fröhlich gesehen. Und diese Fröhlichkeit stand ihr so viel besser zu Gesicht als jene leicht zitternde und dunkle Stimme, mit der sie »Vier Jahre, zwei Monate und fünf Tage« gesagt hatte.
    Alice war tapfer. Sie richtete sich auf, zwang sich zu einem Lächeln und wechselte das Thema.
    »Willst du Henry kennenlernen?«, fragte sie gespielt beiläufig in die konzentrierte Stille. Mit der Gabel auf dem Weg zum Mund hielt Elizabeth inne.
    »Henry?«, brachte sie kaum verständlich hervor, vollendete ihre Bewegung, kaute, schluckte und erging sich in einem Hustenanfall. Alice schwieg und ließ ihre Freundin wieder zu Atem kommen, damit diese weitersprechen konnte:
    »Mein Liebes, ich habe es ja immer gesagt. Es ist so wichtig, dass du dich nicht in deinem Kummer vergräbst. Du bist ja auch wirklich noch eine gute Partie und durchaus keine alte Jungfer. Du kommst sicher über William hinweg. Es ist der Mann aus der Eisenbahn. Hab ich nicht recht? Du hast ihn wieder getroffen. Unglaublich, Alice. Das sagst du erst jetzt? ›Willst du Henry kennen lernen?‹«, imitierte sie übertrieben. »Das hört sich an, als hättest du ihn im Schrank versteckt. Mein Gott –«, sie senkte die Stimme, »sieht er gut aus?«
    »Er hat eine sehr positive Ausstrahlung«, antwortete Alice gelassen.
    »Ach, Liebes, wie ich mich für dich freue. Henry. Wie heißt er mit Nachnamen?«
    »Brown.«
    »Henry Brown. Hm. Das ist ja eher ein gewöhnlicher Name. Ist er aus Somerset? Ist er vielleicht mit Clarisse Brown verschwägert, oder mit Lady Diana von Dawson Manor?«
    »Ich weiß es nicht.« Alice schüttelte sachte den Kopf.
    »Du weißt es nicht. Grundgütiger, hast du denn komplett den Verstand verloren? Du lässt dich mit einem Mann ein und weißt nicht einmal, woher er stammt. Er muss dir wirklich den Kopf verdreht haben.« Elizabeth flüsterte noch immer und schaute wieder zur Tür. »Ist er vermögend?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Alice, »so gut kennen wir uns noch nicht.«
    Gespanntes Schweigen breitete sich im Raum aus. Elizabeth richtete ihre Frisur und zog das Kleid über die Knie.
    »Kommt er auch zum Tee?«, fragte sie.
    Alice nickte.
    Mein Herz klopfte. Ich fühlte, wie sich alle meine Fasern spannten, spürte ein leises Kribbeln unter dem Fell und war bereit. Ich hatte meinen Namen gehört. Das erste Mal in meinem Leben hatte ihn jemand ausgesprochen. Henry Brown. Mein erster Auftritt stand unmittelbar bevor. Elizabeth Newmans Augen würden auf mir ruhen, mich mustern, mich für gut befinden. Jetzt geht es los, dachte ich. Jetzt geht mein Leben richtig los!
    Es kann sein, dass es an Alices kleinem Streich lag, dass mein erster Auftritt auf der Bühne dieser Welt gänzlich misslang. Elizabeth Newman stieß jedenfalls nur verächtlich Luft aus, als sie mich, an einem Arm baumelnd, von sich hielt und mein Schultergelenk einer ersten Belastungsprobe unterzog.
    »Henry Brown. Sehr amüsant. Farbenblind bist du wohl außerdem, Miss Spaßvogel«, schnappte Elizabeth ein.
    Wieso amüsant? An meinem Namen war wahrhaftig nichts Komisches zu finden.
    Doch Alice kicherte und lachte. Sie hielt sich ihr Taschentuch vor den Mund und konnte sich kaum beruhigen. Ich war vollends verwirrt, und ihre Freundin schien ebenso
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