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Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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Blick aus demselben Grund von diesen Augen ab, aus dem er dem herausfordernden Blick eines tollwütigen Wolfs nicht standgehalten hätte.
    Kirsten sah er nirgends, aber ein weißhaariger alter Mann schlurfte in Pantoffeln herum und sammelte die
Trümmer des Gefechts auf: die Gabel, das Messer, die Scherben des zerbrochenen Weinglases. Das Besteck legte er wieder auf den Tisch, und die Glasscherben ließ er in einen Plastikmüllbeutel fallen.
    »Nur gut, dass sie sich noch keinen Wein eingeschenkt hatte«, sagte der alte Mann zu dem Monster. »Das wäre eine schöne Bescherung geworden. Nein, sehen Sie sich das an – ein paar dicke Bohnen haben sich in den Teppich reingedrückt.« Er schnalzte mit der Zunge. »Also, hören Sie, Tom, ich bin mir nicht sicher, ob man eine so brutale Tat als Gemilut Chesed bezeichnen kann, obwohl ich glaube, dass Ihr Motiv dafür der Wunsch war, einem Mitmenschen einen guten Dienst zu erweisen. Aber wie könnte ich mir anmaßen, das zu beurteilen, ich bin ja nichts weiter als ein alter Knacker, der einen Familienbetrieb zu führen und das Richtige zu tun versucht – in einer Zeit, in der sich keines von beidem auszahlt.«
    Der Schmerz in dem zerschmetterten Handgelenk war so schlimm und der alte Mann durch seine Tränen so verschwommen, dass Rudy sich fragte, ob er Halluzinationen hatte.
    Da erklangen in der Ferne Sirenen.

69
    Henry Rouvroy konnte nichts unternehmen, um Jim aus dem Haus auszusperren, da der Dichter durch den Dachboden hereinkäme, wenn es ihm nicht gelang, das Haus durch eine Tür zu betreten, denn als Nächstes würde er durch Wände gehen , unter Missachtung der Auffassungen aufgeklärter Professoren und elitärer Meinungsmacher, die den Gedanken an Geister mit einem Feixen oder einem Hohngelächter abgetan hätten. Er hatte jetzt die Kontrolle an sich gerissen, der tote Bruder, und daran ließ sich nichts ändern.
    Folglich legte Henry die Granate in den Kühlschrank, da sie gegen einen Mann, der ohnehin schon tot war, nutzlos sein würde. Die Wahl des Kühlschranks wunderte ihn im ersten Moment, doch dann beschloss er, er müsse auf die unterbewusste Wahrnehmung reagiert haben, dass die Handgranate einer Ananas ähnelte.
    Niedergeschlagen und resigniert entfernte er sämtliche Stühle, die er unter Türgriffe gezwängt hatte, und stellte sie wieder an den Tisch in der Essecke. Als er die Kellertür öffnete, blieb er am oberen Ende der Treppe stehen und schaute in den tiefer gelegenen Raum hinunter, wo seit mehr als vierundzwanzig Stunden Licht brannte. Er hörte nichts von dort, doch er sagte: »Jim?« Als er keine Antwort erhielt, sagte er: »Ich hätte dich nicht selbst töten dürfen, nicht meinen eigenen Bruder. Ich hätte jemanden
damit beauftragen und dann denjenigen töten sollen.«
    Er ging von einem Fenster zum anderen, öffnete die Vorhänge und zog die Rollläden hoch. Er hatte genug davon, sich zu verstecken. Eine weitere Nacht, in der er auf Vergeltung wartete, würde er nicht aushalten.
    Durch eines der vorderen Fenster sah er eine Frau auf der Veranda. Anfangs nahm er an, das müsse Nora sein, die sich Jim für die nächste Phase des Spuks anschließen wollte, doch als sie seine Gegenwart bemerkte und sich umdrehte, stellte sich heraus, dass es eine Fremde war. Und noch dazu eine attraktive Frau.
    Wenn eine attraktive Frau zu ihm kam, statt dass er sich anschleichen und sie gefangen nehmen musste, dann war sein Los vielleicht doch noch nicht besiegelt. Vielleicht war das ein Zeichen dafür, dass die Stunde von Jim, dem Toten, vorüber war und dass der schlimmste Spuk hinter ihm lag, dass er diesen Initiationsritus in die heidnische Realität des Landlebens bestanden und die Zustimmung der Erdgeister und der Fruchtbarkeitsgötter, die über diese Welt der Bauernhöfe und Sägewerke herrschten, errungen hatte. Wenn dem so war, dann konnte er sich jetzt an seinem Zufluchtsort einrichten und sich hier verschanzen, um das Chaos, das der Senator und seine Freunde durch geschickte Manipulation in die Wege geleitet hatten, heil zu überstehen.
    Er machte ihr die Tür auf und lächelte sie an.
    Sie sah ihn stirnrunzelnd an und sagte: »Jim?«
    »Ich habe versucht, er zu sein«, sagte er.
    »Was hast du gesagt?«
    »Ein kleiner Scherz. Es war ein langer Tag.« Offenbar kannte sie die Carlyles, was ihn dazu ermutigte, einen Schritt von der Schwelle zurückzutreten und zu sagen: »Nora und ich wollten gerade mit den Vorbereitungen für das Abendessen anfangen.
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