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Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Die Unbekannten: Roman (German Edition)

Titel: Die Unbekannten: Roman (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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Möchtest du zum Essen bleiben?«
    Nach einem kurzen Zögern trat sie ein. »Ich kann nicht bleiben, Jim. Es ist etwas ganz Unglaubliches und Wunderbares passiert.«
    Er schloss die Tür und sagte: »Etwas Wunderbares könnte ich gut gebrauchen. An einem Tag wie diesem brauche ich etwas, das mir Auftrieb gibt. Erzähl mir und Nora mehr darüber.«
    »Es wird besser sein, wenn ich es euch zeige«, sagte sie und folgte ihm in Richtung Küche.
    »Nora ist im Kartoffelkeller. Ich wollte gerade runtergehen und ihr helfen, Kartoffeln raufzutragen.«
    Die Tür stand offen. Unten schimmerte Licht. Er freute sich darüber, wie einleuchtend seine Geschichte klang.
    »Die Sache ist die, Jim, ich muss mir dringend euren Mountaineer borgen.«
    »Klar. Kein Problem. Was hältst du davon, Nora zu helfen, ein paar Körbe Kartoffeln raufzutragen, und ich hole in der Zeit meine Versicherungskarte, damit du sie hast, falls es zu einem Unfall oder so was kommt.«
    »Ich brauche keine Versicherungskarte«, sagte sie.
    »Ja, schon gut, ich weiß, aber das Gesetz sagt nun mal, dass man einen Versicherungsnachweis dabeihaben muss, und du kennst mich ja, du weißt doch, dass ich mich an die Gesetze halte.«
    Tatsächlich hatte Jim ein Gedicht mit dem Titel »Leben nach dem Gesetz« geschrieben, in dem es um die Schönheit der Gesetze ging, obgleich es sich um die Naturgesetze handelte, nicht um die von Menschenhand gemachten.
    Die Anspielung auf das Gedicht erfüllte ihren Zweck. Die Frau kaufte es ihm ab und lächelte. »In Ordnung, klar, hol du die Versicherungskarte. Der rechtschaffene Jim. Ich helfe inzwischen Nora.«
    Er sah ihr nach, wie sie die Stufen hinunterstieg, und als sie unten angekommen war, rief er: »Ich hatte gerade weit vor meiner Zeit eine altersbedingte Gedächtnislücke. « Er eilte hinter ihr her und fügte hinzu: »Ich hatte doch glatt vergessen, dass ich die Versicherungskarte in meiner Brieftasche habe.«
    Als Henry unten ankam, erreichte die Frau gerade die Tür des Kartoffelkellers, die nur angelehnt war. Darin brannte Licht.
    Ein Stich des Entsetzens durchbohrte Henry, und im ersten Moment wusste er nicht, warum, doch dann fiel es ihm wieder ein.
    Die Frau machte die Tür auf und trat ein, und auf dem Boden lag Nora, die erste Frau in seinem geplanten Harem.
    »Ich war wohl tatsächlich Jim«, sagte Henry.
    Er sah sich vor seinem geistigen Auge, wie er Jims Handschuhe trug und Nora in der Schubkarre aus der Scheune holte. Gestern nach dem Abendessen. Weil er Jim war. Weil er wirklich in die Rolle geschlüpft war. Nun ja, schließlich hatte er in Harvard auch Schauspielkurse belegt.
    Seine Besucherin, die namenlose Frau, die im Kartoffelkeller in die Falle gegangen war, drehte sich um und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    Während er auf die Tür zuging, sagte Henry: »Und Jim. Jim ist im Hühnerstall. Ich habe ihn ausgezogen und in den Hühnerstall geworfen. Ich hatte keine Zeit, sie zu füttern. Sollen sie das Fleisch von seinen Knochen picken. Dann braucht man kein so großes Grab zu schaufeln.«
    »Jim, was ist los mit dir?«
    Er sah auf seine Hände hinunter, auf seine sauberen Nägel, und erinnerte sich an den Schmutz, den Dreck, das klebrige Blut unter seinen Fingernägeln, weil er die Handschuhe getragen hatte und Jim gewesen war.
    » Henry «, ertönte das Flüstern, vor dem ihm graute, » Henry … Henry «, und er wagte nicht nachzusehen, was hinter ihm stand.
    Die Frau, die sehen konnte, was hinter ihm stand, sagte nur: »Wer ist Henry?«
    » Henry «, sagte Henry und wusste, dass der von Hühnernschnäbeln zerpflückte Jim doch nicht hinter ihm stand.
    »Jim«, sagte die Frau, »geben Sie die Tür frei, ich komme jetzt raus, Jim.«
    Er hatte die Handschuhe getragen, um das Gedicht aus dem Buch abzuschreiben, und dann hatte er sich wieder die Hände waschen müssen.
    »Ich bin mir nicht ganz sicher, woran genau ich leide«, sagte er zu der Frau im Kartoffelkeller. »Ich hatte nie die Zeit, so viele Kurse, wie ich wollte, in Psychologie zu belegen.«
    Sie kam auf ihn zu, doch er wich nicht zurück.
    Er sagte: »Hören Sie das? Hören Sie jambische Pentameter? Das Pochen, das Pochen, das ewige Pochen.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Oh, ich schon. Ich höre es ständig. Es ist schade. Es wäre wirklich aufregend gewesen, Sie im Kartoffelkeller einzulagern. Dann hätte ich alles haben können. Aber sehen Sie sich nur an, was diese ländliche Welt in nur einem Tag aus mir gemacht hat. Das bin nicht
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