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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Autoren: Natsuo Kirino
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Finger waren so steif, dass ich danebengetroffen hab.« Masako hatte die Fassung verloren. Sie wusste nicht mehr, was sie da redete. Sie merkte, dass ihre linke Hand immer noch das Skalpell umklammert hielt, und warf
es von sich. Klirrend sprang es auf dem Betonboden weg. Bevor sie aus dem Haus gegangen war, hatte sie einen Weinkorken auf die Klinge gespießt und es sich in die Jackentasche gesteckt.
    »Du bist eine fabelhafte Frau. Vorhin hätte ich mich von dir umbringen lassen sollen, dann wäre es wenigstens ein schönes Gefühl gewesen«, brachte Satake mühsam hervor. Das Sprechen fiel ihm schwer. Die Luft entwich ihm dabei aus der Mundhöhle, da ihr Schnitt die Wange offenbar komplett durchtrennt hatte.
    »Wolltest du mich umbringen?«
    »Ich weiß es nicht...« Satake schüttelte den Kopf und sah zur Hallendecke auf.
    Die Morgensonne stand mittlerweile direkt auf den Oberlichtern und durchflutete den Raum mit gleißendem, blendenden Licht. Wie Theaterscheinwerfer verbanden Staubstreifen die viereckigen Fenster mit dem verdreckten Betonboden. Von Satake angesteckt, schaute auch Masako zitternd zu den Oberlichtern hoch. Das Zittern kam nicht von der Kälte. Sie schauderte vor Entsetzen über die Vorahnung, dass sie Satake durch das, was sie getan hatte, vielleicht für immer verlieren würde.
     
    Jenseits der Fenster erstreckte sich ein blassblauer Himmel. Ein friedvoller Wintertag brach an, als hätte es die erbitterten Kampfszenen der vergangenen Nacht nie gegeben. Den Blick auf die Lache am Boden gerichtet, in der sich sein Blut sammelte, antwortete Satake: »Ich wollte dich nicht umbringen. Aber ich wollte sehen, wie du stirbst – das schon.«
    »Warum?«
    »Weil ich dich dann von ganzem Herzen lieben kann, vielleicht.«
    »Und anders kannst du das nicht?«
    Satake sah Masako in die Augen. »Nein, vermutlich nicht.«
    »Stirb nicht«, sagte Masako leise zu dem stöhnenden Satake. Überrascht schaute er sie an. Das Blut, das ihm aus der Wange floss, färbte seinen Körper nach und nach rot.
    »Ich habe Kuniko ermordet. Und davor hab ich auch schon eine umgebracht. Sie war genau wie du. Ich glaube, damals bin ich schon einmal gestorben. Als ich dich das erste Mal sah, hab ich mir gewünscht, noch einmal so sterben zu können...«

    »Aber ich lebe. Deshalb stirb nicht.« Masako ließ die Daunenjacke, die sie auf der nackten Haut spürte, zu Boden fallen. Weil sie ihr im Weg war, wenn sie Satake in den Arm nehmen wollte. Von den Schlägen war ihr Gesicht dick geschwollen und schwer. Ihre Züge mussten so entstellt sein, dass ihr Spiegelbild sie sicher erschrecken würde. Aber das war ihr egal.
    »Ich fürchte, es geht zu Ende mit mir«, sagte Satake fast erleichtert. Er schien zu frieren, denn er zitterte. Masako rückte näher an ihn heran und untersuchte die klaffende Wunde in seinem Gesicht. Ein sauberer, tiefer Schnitt. Um das Blut zu stillen, drückte sie die Wunde mit allen zehn Fingern fest zusammen.
    »Lass, das ist zwecklos. Sicher ist die Halsschlagader getroffen, nicht wahr?«
    Aber Masako ließ nicht los.
     
    Satake lag im Sterben.
    Sie fragte sich, ob sie diesem Mann vielleicht nur begegnet war, um diesen Augenblick mit ihm zu teilen, und sah sich noch einmal in der Fabrikhalle um: ein riesiger Sarg, wie geschaffen, damit sie beide hier zusammentreffen, sich gegenseitig verstehen lernen und wieder auseinander gehen konnten.
    »Gibst du mir eine Zigarette?«, bat Satake sie schwerfällig. Er konnte den Mund kaum noch bewegen. Sie nahm die Schachtel aus der Tasche seiner Hose, die am Boden lag, zündete eine Zigarette an und schob sie ihm zwischen die Lippen. Im Nu war sie voller Blut. Aber das kümmerte Satake nicht. Er stieß feinen Rauch aus. Masako kniete sich vor ihn hin und schaute ihm direkt ins Gesicht.
    »Hör zu, lass uns ins Krankenhaus fahren, oder ich hole einen Arzt, ja?«
    »Einen Arzt...« Satake schien zu lachen. Wahrscheinlich war eine Sehne durchtrennt, denn das Lachen lockerte nur die eine, unblutige Gesichtshälfte. »Die Frau, die ich umgebracht habe, hat auch von einem Arzt gesprochen, bevor sie starb. Sieht aus, als sterbe ich jetzt genau wie sie. Das nenne ich Schicksal...« Die Zigarette fiel ihm aus dem Mund. Die kaum angerauchte Kippe landete in der Blutlache und erlosch. Satake schloss die Lider, als hätte er aufgegeben.

    »Lass uns trotzdem hinfahren, hörst du!«
    »Dann werden sie uns beide einsperren.«
    Masako packte Satake, der jetzt heftig zitterte, bei den
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