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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Autoren: Natsuo Kirino
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ohne sich darum zu scheren, dass Satake zusah.
    »Mach schnell!«
    Mit trägen Bewegungen stand Masako auf und kam auf ihn zu. Sie torkelte, geriet über einen Ölkanister ins Straucheln und
schlug mit beiden Händen auf dem Boden auf. Satake stürzte auf sie zu, packte sie am Kragen der Daunenjacke und zog sie wieder hoch. Masako steckte die Hände in die Jackentaschen und blieb benommen stehen.
    »Na, wird’s bald, los!«
    Er hatte die Hand schon zu einem neuerlichen Schlag erhoben, da fuhr ihm etwas Kaltes übers Gesicht. Als hätten ihm eiskalte Frauenfinger über die Wange gestrichen. Die Finger jener Frau damals? Ihm war, als hätte ihn ein Geist berührt. Er blickte ins Leere und fasste sich dann mit der Hand an die Wange. Das Fleisch seiner rechten Gesichtshälfte klaffte auf, Ströme von Blut quollen hervor.

7
    Masako lag frierend in der Kälte. Anders als beim Aufwachen am Morgen war ihr Körper schon hellwach, nur ihr Bewusstsein schien für immer in diesem benommenen, untätigen Zustand der Unwissenheit bleiben zu wollen. Warum nur?
    Entschlossen schlug sie die Augen auf und fand sich von Dunkelheit umgeben wieder. Dunkelheit, die einen großen, leeren Raum erahnen ließ. Sie steckte in einem kalten, dunklen Loch. Oben war es eine Spur heller, man konnte durch ein kleines Fenster den Nachthimmel sehen. Ihr fiel wieder ein, wie sie vergangene Nacht in den sternlosen Himmel geblickt hatte.
    Ihr Geruchssinn meldete sich zurück. Es roch vertraut. Nach kaltem Beton und dem Wasser, womit er ständig abgespritzt worden war. Und es roch, als ob beides Fäulnis und Schimmel angesetzt hatte. Sie brauchte noch eine Weile, um zu begreifen, dass es die stillgelegte Fabrik war, in der sie lag.
    Wieso waren ihre Beine nackt? Masako fuhr mit der Hand an ihrem Körper entlang, der nur in T-Shirt und Unterwäsche steckte. Die eigene Haut kam ihr vor, als gehörte sie nicht zu ihr, so kalt und spröde fühlte sie sich an, wie aus Stein. Ihr war entsetzlich kalt. Ein grelles Licht schien ihr ins Gesicht. Geblendet kniff sie die Augen zu und hielt sich die Hand davor.
    »Masako Katori!«, hörte sie Satakes Stimme.
    Er hatte sie erwischt! Masako stieß einen langen Seufzer der Verzweiflung aus, als sie sich wieder daran erinnerte, wie er sie
vorhin auf dem Parkplatz von hinten geschnappt und in den Würgegriff genommen hatte. Jetzt war sie sein Spielzeug, bis er sie töten würde. Die Angst davor hatte sie so lange im Dämmerzustand der Illusion festgehalten. Ausgerechnet jetzt, wo sie den Ausweg schon vor Augen gehabt hatte. Maßlos wütend über den kleinen Moment der Unachtsamkeit, der ihr unterlaufen war, brüllte Masako in Richtung Lichtquelle:
    »Scheiße!«
    Daraufhin befahl Satake ihr etwas Eigenartiges: »Sag: Du hast mich reingelegt, du elender Schweinehund!«
    Sie begriff, dass er irgendetwas aus seiner Vergangenheit zu reproduzieren versuchte, das ihn nicht losließ. Ihr Schrecken kannte keine Grenzen, als sie diesen Gedanken weiterspann und schließlich erkannte, dass nicht die Folgen des Mords an Kenji, sondern dieses Ereignis in der Vergangenheit Satakes Seele gefangen hielt und für den Rachefeldzug gegen sie verantwortlich war. »Wir haben ein Ungeheuer geweckt«, hatte sie zu Yayoi gesagt und nicht geahnt, wie Recht sie damit hatte.
    Sie trat Satake in den Unterleib, wich seinen Armen aus, und während sie in die Dunkelheit floh, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich auf der Stelle in Luft auflösen und für immer vor ihm verstecken zu können. Seine Gegenwart löste eine so tiefe Urangst in ihr aus, dass sie sich wie ein Säugling vorkam, der bei Einbruch der Nacht aus Furcht vor der Finsternis zu schreien anfängt. Die Nacht vermochte aber auch wundersame Kräfte zu wecken, die über den normalen Menschenverstand hinausgingen. Und genauso schien Satake bei ihr Dinge wachzurufen, die bisher nur unbewusst in ihr geschlummert hatten. Masako war nicht nur auf der Flucht vor Satake, sondern auch vor diesem anderen, unbekannten Selbst.
    Alles Mögliche stach ihr in die nackten Fußsohlen, klebte daran oder verfing sich zwischen den Zehen. Von bröckeligem Betonschutt, Eisenspänen und Plastiktüten bis hin zu irgendwelchem undefinierbaren Müll, der sich beim Drauftreten weich und wabbelig anfühlte. Sie kümmerte sich nicht darum und suchte weiter fieberhaft einen Weg nach draußen, während sie von einer Dunkelheit in die nächste floh, die Satakes Taschenlampe nicht zu durchdringen
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