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Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out

Titel: Die Umarmung des Todes - Kirino, N: Umarmung des Todes - Out
Autoren: Natsuo Kirino
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vermochte.

    »Gib auf, Masako!«, hörte sie Satakes Stimme vom Bereich der Toreinfahrt her. »Ich denk ja nicht dran!«, entgegnete sie ihm.
    Auf die Frage, die sie an ihn hatte, würde Satake ihr so ohne weiteres keine Antwort geben wollen, aber für Masako stand längst fest, dass es sich hierbei nicht um bloße Rache handelte. Sie wollte genau wissen, was es an ihr war, das ihn so provozierte. Immer, wenn seine Stimme die feuchtkalte Luft erschütterte und durch die Dunkelheit zu ihr drang, versuchte sie, sich seinen Gesichtsausdruck dazu vorzustellen.
    Instinktiv fühlte sie, dass er sich auf sie zubewegte. Mithilfe ihrer Stimme als Wegweiser schlich er sich an sie heran. Sie versuchte, auf die ehemalige Laderampe für LKWs zuzukriechen, ohne dass er es merkte, denn dort musste es ein weiteres verrostetes Rolltor geben. Ob es nicht irgendwie aufzustemmen war? Satake richtete das Licht seiner Taschenlampe inzwischen hierhin und dorthin, als freute er sich darauf zu entdecken, zu was Masako noch alles fähig sein würde.
    Endlich hatte sie die Laderampe erreicht. Sie kletterte auf das breite, etwa achtzig Zentimeter hohe Podest aus Beton und stemmte das kleine Rolltor hoch. Sie kümmerte sich nicht um den Lärm, den sie dabei machte. Dreißig, vierzig Zentimeter würden ausreichen, um hindurchschlüpfen zu können. Sie musste nur schnell genug sein. Mit letzter Kraft schaffte sie es, das Rolltor anzuheben und mit dem Oberkörper hinauszukriechen. Die Außenluft, die sie für einen kurzen Moment einatmete, roch nach dem fauligen Schlamm des Abwasserkanals, und doch unglaublich süß.
    Deshalb nahm sie die körperlichen Schmerzen kaum mehr wahr, als sie von Satake in die Dunkelheit zurückgezerrt, geschlagen und zu Boden gestoßen wurde. Gleich da vorne lag doch die Freiheit, die sie vielleicht nie mehr wieder zu fassen bekäme! Dabei war sie ihr schon so verdammt nahe gekommen! Die Bitterkeit darüber verwandelte sich in einen überwältigenden seelischen Schmerz, der sie niederschmetterte. Und es trieb sie fast in den Wahnsinn, dass sie sich immer noch keinen Reim darauf machen konnte, warum Satake es einzig und allein auf sie abgesehen hatte.
     
    Masako war an einen eiskalten Stahltisch gefesselt. Die metallene Oberfläche nahm zwar die Wärme ihres Körpers auf, gab sie aber
augenblicklich nach unten und an die Seiten ab. Nie zuvor hatte sie eine solche Kälte erlebt. Aber Masako dachte nicht daran, hier zu erfrieren. Sie hatte immer noch nicht aufgegeben. Solange sie am Leben war, sollte ihr Körper gegen diesen Stahltisch ankämpfen, der ihm jede Wärme raubte. Sie wand sich hin und her, um durch Bewegung Hitze zu erzeugen, denn sonst hätte der Tisch sie im Nu mit seiner stählernen Kälte einverleibt.
    Satake schlug ihr wieder ins Gesicht. Während sie vor Schmerzen aufstöhnte, suchte sie in seinen Augen fieberhaft nach Anzeichen des Wahnsinns. Sollte er geisteskrank sein, würde sie aufgeben. Aber Satake war nicht wahnsinnig. Hier ging es weder um perverse Spielchen noch um sadistische Erniedrigung. Indem er sie prügelte, versuchte Satake ihren Hass auf ihn zum Kochen zu bringen. Masako begriff, dass er von ihr zutiefst gehasst werden wollte. Er goss immer weiter Öl ins Feuer, bis ihr Hass den Siedepunkt erreicht hatte, und dann würde er sie töten.
    Als er in sie eindrang, fühlte sie sich grenzenlos gedemütigt: ihr erster Geschlechtsverkehr seit Jahren eine Vergewaltigung, und das in ihrem Alter. Als sie eben von Kazuo umarmt worden war, hatte sie diese Berührung als heilenden Trost empfunden, aber für Satake fühlte sie nur blanken Hass. Genau wie er sie als Frau hasste, hasste sie in diesem Moment den Mann Satake. Tatsächlich, der Geschlechtsakt konnte eine Quelle des Hasses sein.
    Satake ist in einem Traum, dachte Masako, während sie vergewaltigt wurde. In einem endlosen Traum, den nur er selbst sah und in dem Masako, das spürte sie, nichts als die Rolle eines lebendigen Werkzeugs spielte. Sie sollte besser aufhören, darüber nachzudenken, wie sie dem Traum eines anderen Menschen entfliehen konnte, das führte zu nichts. Sie musste versuchen, ihn zu verstehen. Und dadurch herausbekommen, wie es weitergehen würde – einen anderen Weg gab es nicht. Wenn ihr das nicht gelänge, würde sie nur sinnlos leiden. Sie wollte wissen, welchem Ereignis in seiner Vergangenheit Satake so sehr nachhing. Masako blickte ins Leere, während sie das Gewicht des auf ihr liegenden Mannes ertrug. Gleich
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