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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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sicher sein, ob meine Bemühungen auch von Erfolg gekrönt sein werden. Manchmal legt jemand ein Geständnis ab, oder ich bekomme einen Tipp. Seltsamerweise schenkt mir die Halb- und Unterwelt gerade deshalb häufig ihr Vertrauen, weil ich mit meinem Ordensschulen-Hindi und meinen gestylten Haaren aus dem Frisiersalon eine so auffällige Erscheinung bin. Ich wirke so weit entfernt von der Welt der zwielichtigen Geschäfte, der Drogendeals und der Messerstechereien, so weit entfernt von allem, was an Strafverfolgung erinnert, dass sie sich beim besten Willen nicht vorstellen können, ich wäre eine geldscheffelnde Anwältin oder eine Dealerin: Ja, ich bin eben nur eine schwache Sozialarbeiterin mit meinem übergroßen aufgemalten roten Bindi zwischen den Augenbrauen und meinen offenen Kolhapuri -Sandalen. Wenn ich den Leuten versichere, ich wünschte mir für sie alle ein Leben in Freiheit und in einer gerechten Welt, dann wissen sie, dass ich es wirklich ernst meine, denn ich trage meinen Idealismus vor mir her wie eine Zauberwaffe, stets bereit, sämtlichen bösen Dämonen damit den Garaus zu machen.
    Und manchmal beginnen sie sogar, so wie ich daran zu glauben, dass sie Erlösung erlangen könnten. Die Ordensschule, auf die ich gegangen bin, hat mich allerhand vielversprechende Dinge in Bezug auf Schuld, Sündenbekenntnis und Vergebung gelehrt.
    Trotzdem habe ich zu viele Fälle erlebt, in denen Missetäter zuerst » bekehrt « worden waren, sich dann aber gleich wieder mit ihren alten Kumpanen zusammentaten, so dass sie dem uralten Teufelskreis von Gefängnis, Freiheit und wieder Gefängnis dann doch nicht entrinnen konnten. Da sieht man sich dann schon mal mit der Frage nach dem » Sinn des Lebens « konfrontiert. In vielen Fällen kann man den Straftäter kaum mehr von den Umständen, aus denen er hervorgegangen ist, trennen, und dann wird einem klar, dass das Leben wirklich ungerecht sein kann. Nun, da die Wissenschaftler ein Untreue-Gen entdeckt haben, ist es wahrscheinlich bloß noch eine Frage der Zeit, bis sie auch auf das » Kriminalitäts-Gen « stoßen, und was machen wir dann? Entledigen wir uns sämtlicher Gefängnisse und eröffnen stattdessen große medizinische Zentren, in denen Erbmasse umprogrammiert wird? Oder wird man nach unzähligen Versuchen an Mäusen zu dem Schluss kommen, dass die Injektion von Serotonin bei gleichzeitiger Reduzierung von Testosteron das aus den Fugen geratene chemische Gleichgewicht ausbalancieren kann und wir alle liebevollere und mitfühlendere und ausgeglichenere Zeitgenossen werden?
    Ich hatte schon befürchtet, am Ende meiner Weisheit angelangt zu sein – meine letzte Erfahrung als Weltverbesserin hatte mich fast zu der Überzeugung gebracht, dass es doch alles keinen Zweck hätte –, doch dann las ich von Durgas »Fall«, und er interessierte mich, weil das Verbrechen in Jullundur, meiner Geburtsstadt, geschehen war. Es mag nach unangemessener Eitelkeit klingen, aber mich beschlich das Gefühl, dass ich Durga besser verstehen könnte als beinahe jeder andere. Ich konnte ihr vielleicht helfen, nicht an ihrem Kummer und ihrer Not zu zerbrechen. Heutzutage wird aus allem gleich »ein verzweifelter Hilferuf« gemacht. Angeblich dreizehn Menschen ermordet zu haben, berechtigte einen sehr wohl zu solch einem Hilferuf, fand ich.
    Wir alle haben unsere kleinen Schwächen. Meine hat immer darin bestanden, Tiefen auszuloten, vor denen andere wohlweislich zurückwichen. Als Amarjit, ein alter Freund vom College (wir konnten auf einige gemeinsame Erlebnisse zurückblicken), der inzwischen Generalinspekteur der Gefängnisse von Punjab war und mich stets in meiner Arbeit mit Strafgefangenen bestätigt hatte, mich anrief, konnte ich einfach nicht nein sagen. Er wollte, dass ich das Mädchen besuchte, ihr gut zuredete und der Polizei half, zu einer wie auch immer gearteten Entscheidung zu kommen, was ihren Geisteszustand betraf. Außerdem fühlte er sich für das Mädchen verantwortlich, weil dessen Eltern eng mit ihm befreundet gewesen waren und sie nun ja niemanden mehr hatte – bis auf eine Schwägerin in Southall, die dem Tod nur entkam, weil sie rechtzeitig nach England zurückgekehrt war. Ihr Ehemann, Durgas Bruder, befand sich unter den Toten.
    Da sitze ich also nun um drei Uhr morgens in einem Gästehaus der Polizei und starre eine
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