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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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Meine Mutter war zu Tränen gerührt gewesen, zu Freudentränen natürlich, dass die Tochter ihrer Freundin mit solch Glanz und Gloria verheiratet wurde. Wenn du es hast, dann zeig es auch – das war schon immer eines ihrer Mottos gewesen. Eine langjährige Tradition in ihrer aus dem Punjab stammenden Familie.
    Ich wühle herum und finde endlich eine Kerze, dann widme ich mich wieder meinen Aufzeichnungen über den »Fall«, wie ich die Geschichte immer noch bezeichne. Kalter Schweiß läuft mir den Rücken hinunter. Es ist augenscheinlich, dass sich niemand groß um Durga geschert hat. Wäre da nicht ihr stattliches Erbe gewesen, hätte »der Fall« wahrscheinlich nicht einmal das öffentliche Aufsehen erregt, das ihm dann doch zuteilwurde. Aber vielleicht würde diese ganze Aufmerksamkeit eine vorgezogene Aufnahme der gerichtlichen Untersuchung erzwingen?
    Mir ist nur zu bewusst, was mir Unbehagen bereitet – die Gefahr, dass ich mich mit den einfachen, naheliegenden Erklärungen zufriedengebe. Zu meinem ständigen Bedauern weiß ich, dass wir es uns manchmal zu leicht machen. Wir sind vielleicht müde und erschöpft, der vermeintliche Täter will nicht so recht kooperieren, die Familie des Opfers drängt möglicherweise mit aller Macht. Oder sie drängt, weil sie Macht hat . Ja, es hat durchaus Fälle gegeben, in denen das Justizsystem einem solchen Drängen nach- und klein beigab und am Ende der Falsche verurteilt wurde. Wenn es denn überhaupt noch zu einer Verurteilung kam.
    In unseren Tagen jedoch rufen solche von den Medien breitgetretenen Fälle natürlich Mahnwächter und engagierte Journalisten auf den Plan. Das ist der Sache nicht immer dienlich; denn wenn ein Fall so sehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerät, könnte das Gericht sich genötigt fühlen, eine von der Mehrheit erwartete Entscheidung zu treffen. Im Namen der Demokratie kann man alles erreichen, sogar einen Tod durch Erhängen.
    Und da ist es dann vielleicht doch gut so, dass ich vor langer Zeit davon Abstand genommen habe, Anwältin zu werden. Ich habe einen weit dornigeren, aber dafür selbstverantwortlicheren Weg gewählt, um denjenigen zu helfen, die auf der Strecke geblieben sind. Ich weiß, dass sich das ziemlich blasiert anhört, doch lassen Sie es sich gesagt sein – Selbstgefälligkeit ist das A und O, wenn man in Indien als Sozialarbeiterin etwas erreichen möchte, vor allem, wenn man es vorgezogen hat, freiberuflich zu arbeiten und nicht als Diener der Herrschenden. Denn nur dann habe ich das Recht und die Möglichkeit, lautstark gegen die hirnlosen Machenschaften der Bürokratie zu protestieren, während ich gleichzeitig in meinen eigenen Bemühungen, die Dinge zu einem Besseren zu wenden, fortfahre. Und damit kann ich mich glücklich schätzen, denn da die Regierung wenig gedankliche Anstrengung und Zeit auf Wohlfahrtspflege zu verschwenden pflegt, kann ich meinen Heiligenschein der Rechtschaffenheit aufrechten Hauptes tragen. Meine tugendhaften Mitstreiter und ich machen uns für die elementaren Rechte der Millionen Namen- und Gesichtsloser, der oftmals Unschuldigen, Ungehörten stark, all jener, die sonst mit Füßen getreten würden. Wer will es uns da verübeln, wenn wir uns ein wenig Eigenlob gönnen und uns selber auf die Schulter klopfen, anstatt uns mit Händeringen und Wehklagen zu bescheiden, wie man es sonst allerorts erlebt?
    Natürlich könnte ich mich mit der Vorstellung, überhaupt jemals jemandem geholfen zu haben, auch vollkommen auf dem Holzwege befinden. Aber diese Vorstellung lässt mich weitermachen, bis ich dann gelegentlich doch auf das letzte finstere Loch stoße und jemanden herausziehe, der in Grund und Boden getrampelt worden ist. Warum tue ich das? Reine Dickfelligkeit. Man kann es auch so sehen wie meine Mutter – dass ich nämlich mit voller Überlegung einen Beruf gewählt habe, der die meisten Heiratskandidaten (es sei denn, es handelte sich bei ihnen um Kriminelle oder Ausgestoßene) erbleichen und sie die Beine in die Hand nehmen lässt.
    Es mir einfach zu machen, liegt mir nicht. Wenn ich zu der Überzeugung gelange, es liegt irgendwo ein Justizirrtum vor, klinke ich mich ein, spreche mit diesem und mit jenem, lasse mich von niemandem vor seinen Karren spannen und versuche, die Wahrheit herauszubekommen. Dabei kann ich mir nie
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