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Die Tuer im Schott

Die Tuer im Schott

Titel: Die Tuer im Schott
Autoren: John Dickson Carr
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spöttische Fältchen in den Augenwinkeln.
    »Ich bin John Farnleigh«, hob er mit einfachen Worten und allem Anschein der Aufrichtigkeit an. »Bitte, halten Sie Ihre juristischen Einwände zurück; ich will meine Geschichte erzählen, und wenn mir danach zumute ist, kann ich auch sagen, ich sei Dschingis Khan. Aber ich bin nun einmal tatsächlich John Farnleigh, und ich will Ihnen erzählen, wie es mir ergangen ist.
    Als Junge bin ich schon unerträglich gewesen; auch wenn ich bis heute manchmal das Gefühl habe, genau das Richtige getan zu haben. Wäre mein Vater, Dudley Farnleigh, noch am Leben, so würden sich mir bei seinem Anblick heute noch genauso die Nackenhaare sträuben wie damals. Nein, ich kann nicht sagen, daß es falsch war, was ich getan habe; nur ein wenig geschickter hätte ich es tun sollen. Ich habe mich mit meinen Eltern angelegt, nur weil sie mir vor Augen führten, wie jung ich noch war, und ich habe es mir mit meinen Lehrern verdorben, nur weil ich stets alles verachtete, was mich in jenem Augenblick nicht interessierte.
    Aber lassen Sie uns zum Thema kommen. Sie wissen, warum ich dies Haus verlassen habe. Ich nahm die  Titanic , zusammen mit Murray. Und von Anfang an war ich, sooft es sich einrichten ließ, bei den Passagieren im Unterdeck. Nicht daß ich sie besonders gemocht hätte, das nicht, aber ich konnte einfach meine eigenen Leute in der ersten Klasse nicht ertragen. Ich halte ja hier keine Verteidigungsrede; es ist ein psychologischer Bericht, und ich denke, Sie werden ihn überzeugend finden.
    Im Unterdeck lernte ich einen Jungen kennen, etwa mein Alter, rumänisch-englischer Abstammung, der allein in die Staaten fuhr. Er interessierte mich. Sein Vater – der unauffindbar blieb –, sei ein englischer Gentleman gewesen, erzählte er mir. Seine Mutter, ein Mädchen aus Rumänien, war Schlangentänzerin in einem Wanderzirkus in England gewesen – zumindest, wenn sie gerade nicht trank. Es kam eine Zeit, wo sie die echten Schlangen und die eingebildeten nicht mehr auseinanderhalten konnte, und sie endete als Küchenhilfe im Kantinenzelt. Der Junge war ihr nur lästig. Ein alter Verehrer von ihr hatte es mit einem Zirkus in Amerika zu einem gewissen Wohlstand gebracht, und nun schickte sie den Jungen zu ihm in die Neue Welt.
    Er sollte Hochseilartist werden, er sollte lernen, mit dem Fahrrad über das Seil zu fahren – und was beneidete ich ihn darum! Herr der Heiligen und der Schlangen, was beneidete ich ihn! Und welcher echte Junge oder Mann würde mich dafür tadeln?«
    Der Herausforderer ruckte ein wenig auf seinem Stuhl. Die Art, wie er seinen Rückblick vortrug, war zynisch genug, aber er tat es doch auch mit einer gewissen Befriedigung, und alle anderen lauschten gebannt. Der windige Mr.   Welkyn, der offenbar im Begriff war, mit einem Vorschlag oder einer Bemerkung zu unterbrechen, blickte rasch in die Runde, und als er die Gesichter sah, blieb er still.
    »Doch dieser Junge, so seltsam das war«, fuhr der Herausforderer fort und betrachtete dabei seine Fingernägel, »beneidete seinerseits  mich.  Seinen Namen (den niemand aussprechen konnte) hatte er in ›Patrick Gore‹ geändert, einfach nur, weil er fand, daß das schön klang. Er wollte nicht zum Zirkus. Ihm gefielen das Umherziehen und die ständigen Veränderungen und die Unruhe und der Lärm nicht, ihm gefiel es nicht, wenn sie die Zeltstangen am Abend einschlugen und am nächsten Morgen schon wieder herauszogen, und ihn störte die Enge, wenn sie um ihr Essen anstehen mußten. Ich weiß nicht, wo er das herhatte, aber er war ein kühler, reservierter, wohlerzogener kleiner Bursche. Das erstemal, daß wir uns sahen, bekamen wir uns so in die Haare, daß das halbe Unterdeck hinzukommen mußte, um uns zu trennen. Ich fürchte, ich war so in Rage, daß ich selbst da noch mit meinem Taschenmesser auf ihn losgehen wollte. Er verneigte sich nur und ging davon; ich sehe es noch vor mir. – Und ich spreche, mein Freund, von Ihnen.«
    Sein Blick ruhte auf Farnleigh.
    »Das kann doch alles nicht wahr sein«, stieß Farnleigh heftig hervor und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ich glaube es einfach nicht. Ein Alptraum ist das. Wollen Sie allen Ernstes behaupten …?«
    »O ja«, bestätigte der andere mit heftigem Ton. »Wir haben uns ausgemalt, wie schön es wäre, wenn wir einfach unsere Leben tauschen könnten. Natürlich war es nichts weiter als ein verrückter Traum – in jenem Augenblick jedenfalls. Sie
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