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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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Aufstöhnen entfuhr allen Kehlen, als Ali die ausgestreckte Waffe hin- und herreißend die Tür erreichte. Er öffnete sie mit der freien Hand, ohne hinter sich in die Gasse zu blicken. Mit dem Wunderlicht im Rücken sah er wie der vergröberte Schattenriß eines Verrückten aus, der einen Krieg gegen die ganze Menschheit eröffnen will. Die Menge rückte schleichend näher; inzwischen hatte sie einen Halbkreis um ihn gebildet. Die vielen Gesichter waren die von Marionetten, starr und mit einem aufgemalten, leblosen Ausdruck.
    Ali betrat die Gasse und schaute noch einmal zu seinem Traumhaus auf. In den erleuchteten Fenstern im ersten Stockwerk huschten immer noch Schatten hin und her. Und ganz kurz gab er sich der Illusion hin, daß es die Schatten von ihm und Ida wären, die Schatten von damals, die die Ankunft eines Patrick schon erahnten, die Schatten der Glückseligkeit. Und der Liebe.
    »Aber willst du denn dein altes Leben nicht wieder zurückhaben?« rief Haschim ihm zu. Nur ein Teil seines verfallenen Gesichts war hinter der Meute zu sehen.
    »Mein altes Leben schon«, sagte Ali und lächelte traurig. »Aber nicht mein totes!«
    Dann warf er die Pistole über die Gartentür vor die Füße seiner Nachbarn, wandte sich um und lief, wie durch Neon schwimmend, zur Parallelstraße. Seine Schritte klackten hallend zwischen den Ziegensteinmauern wie Kastagnetten, und er hörte überdeutlich seinen eigenen hechelnden Atem. Als er das Ende der Gasse erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um. Sie waren weg! Die Meute hatte sich, soweit er es von diesem engen Schlauch aus erkennen konnte, in Luft aufgelöst. Und auch das Wunderlicht war, ohne daß er es unterwegs bemerkt hätte, wieder verschwunden. Die Gasse, die Straße dahinter und sein Haus in der Ferne lagen in völliger Finsternis. Alles sah friedlich aus. Allein der feine Nebel verhüllte ein wenig die Sicht und verlieh dem Ort eine unheimliche Stimmung.
    Ali hatte zu viele Wunder erlebt, um darüber noch in Erstaunen zu geraten. Er trat aus der Gasse hinaus und eilte über den Bürgersteig. Sein Ziel war wieder Idas Wohnung am Stadtrand. Sie mußte da sein, denn er befand sich ja wieder in der Gegenwart. Folgerichtig mußte auch noch eine Kopie von ihr existieren. Oder das Original. Er hatte das starke Bedürfnis, ihr von diesem Alptraum zu erzählen, auch wenn sie ihn für verrückt erklären würde. Aber in Wahrheit mußte er sie sehen, damit er sich von ihrer Unversehrtheit überzeugen konnte. Zugleich jedoch fühlte er sich immer intensiver von einer bleiernen Müdigkeit überwältigt wie nach einer herkulischen Anstrengung. Und ganz unmerklich nahm er wieder den Verwesungsgeruch wahr, der nun ein Element des Nebels zu sein schien, süßlich und ekelerregend. Er schleppte sich bald mehr vorwärts, als daß er ging, seine Füße waren bleischwer, sein Körper schwankte. Der Alptraum hatte mehr an seinen Kräften gezehrt, als er wahrhaben wollte. Doch allein Idas Anblick würde seine Schmerzen lindern, ihn zur Ruhe kommen lassen. Vielleicht würde sie ihm wieder etwas kochen, Lasagne verde al forno, ja, sie würde ihm bestimmt wieder sein Leibgericht zubereiten, nachdem sie ihm ein paar Stunden Schlaf auf der Couch gegönnt hätte. Und dann würden sie weitersehen. Natürlich mußte er sie noch von ein paar Dingen überzeugen, davon, daß man die Vergangenheit ruhen lassen sollte, gleichgültig wie prächtig sie auch gewesen sein mochte, daß man selbst die schrecklichste Gegenwart ertragen mußte, daß ein ehrlicher, ein sauberer Neuanfang möglich war, wenn man nur ...
    Seichtem stolperte.

25
     
    A li nahm es wie sein eigener Zuschauer wahr: Wie die Vorderkante seiner Schuhsohle auf eine der überstehenden Steinplatten des Bürgersteigs stieß, wie er stolperte, das Gleichgewicht verlor und vorn überstürzte, fast schwebend, mit offenem Mund und einem verblüfften Ausdruck, wie er die bleischweren Hände vor das Gesicht hob, wie die spitzen Stäbe des Gartenzauns immer näher auf ihn zukamen und wie er dabei die ganze Zeit dachte: Ach, wie schade! Ach, wie schade!
    Er schlug auf den Zaun auf, rutschte ab und die Speerspitze bohrte sich durch den Gaumen nach oben und stieß bis an die Schädeldecke, nachdem sie das Gehirn durchdrungen hatte. Eine dünne Blutspur trat aus dem Einstichkanal aus und begann den Zaunstab herunterzurinnen. Er kniete jetzt mit hängenden Armen vor dem halbverfallenen Haus des amtlichen Waldschrats und sah in seinem ze
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