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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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sie und strich sich mit der Zunge über die Oberlippe. »Fick mich hier und jetzt, Onkel Ali! Fick mich, Ali Baba!«
    »Florence, was machst du hier?« sagte Ali. Er blieb außer Atem und perplex stehen und deutete mit der Waffe zur Wendeltreppe. »Dein Vater, ich, ich konnte ihn nicht … «
    Mit einem Mal wurde ihm bewußt, daß er den Verstand verloren hatte. Er sprach mit einem Trugbild! Ja, entweder war er verrückt geworden, oder der Schock oder die Angst oder der Streß oder was auch immer ließ ihn halluzinieren. Er gab der zweiten Theorie den Vorrang und stieß Florence mit der flachen Hand von sich. Dabei merkte er jedoch, daß sie sich so gar nicht wie eine Halluzination anfühlte, sondern ganz genau wie damals in dem abgründigsten Augenblick ihrer Affäre, warm, weich und zum Dahinschmachten jung.
    Ali lief zur sperrangelweit offenstehenden Wohnungstür, passierte das dunkle Treppenhaus, dann die ebenfalls geöffnete Haustür und erreichte endlich den Treppenaufgang. Und während er die Stufen heruntereilte, tauchte sie durch den zarten Nebel hindurch an der gegenüberliegenden Straßenseite auf: die kalte, sonderbar fluoreszierende, an ein mattes Nachglühen erinnernde Lichtflut in der Gasse. Sie traf auf die Gartentür und ihre Schnörkel und bildete sie auf dem Bordstein als länglich verzogene Schatten ab. Die antiken Straßenlaternen waren im Vergleich dazu trübe Funzeln. Es beeindruckte Ali so sehr, daß er um ein Haar stehengeblieben wäre, um diesen mystisch schönen Anblick zu genießen. Aber er mußte weiter, dieser Gruselwelt entkommen, mußte durch die Tür in seine alte, reale Welt wechseln. Und das Licht würde ihm dabei helfen, ihn vielleicht sogar retten.
    Haschim und Anton Wachs traten am Fuße des Treppenaufgangs von links und rechts auf. Sie wirkten panisch, aber auch zu allem entschlossen. Ihre erhobenen Hände vollführten in der Luft aufgeregte Bewegungen wie die von Polizisten, die den Verkehr regeln. Der abgewirtschaftete Haschim hatte sich erstaunlich schnell in die neuen Verhältnisse eingegliedert. Er sah zwar immer noch wie sein eigener aus der Irrenanstalt geflohener Großvater aus, aber immerhin hatte er sich inzwischen frisch gemacht und den besten Seidenanzug seines ermordeten Ichs angezogen. Ali bemerkte, daß beide unter ihren Jacketts Waffen trugen.
    Kleines Problem, dachte Ali, nicht so schlimm. Er würde sie einfach niederschlagen und sich dann auf die andere Straßenseite retten. Aber dann sah er, daß überall in der Straße die Lichter angingen. Die Fenster wurden in schneller Folge eins nach dem anderen erleuchtet wie bei einer Kettenreaktion. Türen gingen auf, und die Leute strömten aus ihren Häusern heraus und kamen, einige in Pyjamas, andere in Morgenmänteln, zu ihnen herübergelaufen. Viele von ihnen trugen Waffen, ja, es waren sogar einige mit Maschinenpistolen dabei. Der ganze Aufzug sah zwar so aus, als würden besorgte Menschen einem in Unglück geratenen Nachbarn zu Hilfe eilen, aber für Ali, der es besser wußte, hätte das Bild des von Nebelschwaden umwölkten, nur mehr aus düsteren Fratzen bestehenden Völkchens nicht grauenvoller sein können.
    »Ich habe dich gewarnt«, sagte Wachs. Seine Stimme hörte sich erstaunlich milde an. »Aus dieser Straße gibt es keine Flucht und keinen Weg zurück.«
    »Keine Flucht, keinen Weg zurück!« assistierte ihm Haschim monoton und entblößte dabei ein Gebiß, das einem fast bis zur Gänze ausgebeuteten Steinbruch ähnelte.
    »Wir müssen hier ausharren, ob wir wollen oder nicht«, fuhr Wachs fort. »Es ist kein schönes Leben, aber es ist ein Leben … «
    Ali schoß ihm direkt zwischen die Augen. Ein kleines schwarzes Loch entstand über dem Nasenbein, aus dem sich ein dünnes Rinnsal über das Gesicht ergoß. Wachs kippte mit einem zwischen Überraschung und Frieden schwankenden Ausdruck um.
    Haschim trat beeindruckt zurück. Trotzdem machte er die Andeutung einer Handbewegung in Richtung Jackettinnenseite. Ali preßte ihm die Mündung der Waffe gegen die Stirn, woraufhin er jegliche Bewegung unterließ. Dann entfernte er sich rückwärts gehend von ihm, wobei er Haschims Kopf weiterhin im Visier behielt. Aus den Augenwinkeln sah er, daß seine Nachbarn ihn inzwischen fast eingeholt hatten. Die mit Schlafanzügen oder nur notdürftig bekleideten Leute sahen nun tatsächlich wie Mitglieder einer obskuren Sekte aus, die dem Abtrünnigen mit aller Gewalt wieder den rechten Weg weisen wollen. Ein
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