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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Autoren: Akif Pirincci
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den Kopf. Von Ida mit einer Eisenstange im Auge und vom verstorbenen Hardy, wie er bis zum Hals im Flußwasser stand, und er sah den abgehackten Kopf eines Mannes, den er nicht kannte. Er sah noch weitere schreckliche Dinge, aber sie waren nie passiert, beruhten auf reiner Illusion. Obwohl diese Bilder so unwirklich waren, riefen sie in ihm eine gewaltige Schwermut hervor. Er wollte solche Bilder nicht sehen, nie wieder sehen.
    Je mehr er sich dem diffusen Licht näherte, desto deutlicher sah er an der hervorspringenden Mauer einen Schatten. Irgend jemand hielt sich in der Gasse verborgen und schien einen komischen Tanz aufzuführen. Zyklisch blinkte der Schein roter, gelber und blauer Lichter auf. Und dann hörte er auch noch eine unheimliche Stimme, die metallisch und röchelnd zugleich klang. Während er diesem Treiben immer näher kam, wurde die Schwermut immer stärker in ihm. Aber sie war nicht mit Angst verbunden, sondern paradoxerweise mit einem inneren Frieden. Er versuchte zu analysieren, welcher Natur sie sein könnte, woher sie kam. Und als er endlich um die Ecke bog, wußte er es: Es war die Schwermut des Abschieds!
    Patrick stand in der Mitte der Gasse und tanzte um seinen kleinen Roboter herum, der mit seiner drolligen Gehweise selber einen Tanz aufzuführen schien. Ali hatte seinen Jungen genauso in Erinnerung gehabt, sein Bild nicht verklärt: die goldenen Haare, die blauen Augen, das hübsche kleine Gesicht, in dessen Zügen immer der Schalk zu sitzen schien, alles an ihm war so wundervoll, wie er es im Gedächtnis behalten hatte. Vielleicht waren ihm ab und zu die niedlichen ungelenken Bewegungen entfallen, die Patrick mit den kleinen Händen und Armen vollführte, wenn er die schwungvollen Tanzgesten der Erwachsenen nachahmte. Doch nun sah er sie wieder, und bei diesem Anblick durchflutete ihn ein warmer Strom aus Glück und Freude, und er brach erneut in Tränen aus.
    An dem silbrigen Körper des Roboters blinkten überall bunte Lichter, deren Farben die Ziegelsteinmauern reflektierten. Klappen an seiner Panzerbrust öffneten sich, Kanonen fuhren aus und vibrierten, während sie Schußgeräusche erzeugten. Und aus einem Sprachclip in seinem Innern drang eine martialisch metallische Stimme. »Erdlinge, ich bringe euch den Frieden!« sagte der Blechkamerad, »Erdlinge, ich bringe euch den Frieden!«
    Patrick bemerkte seinen Vater und hörte zu tanzen auf. Er schien hier lange auf ihn gewartet und sich mit dem Spielzeug die Zeit vertrieben zu haben. Aber jetzt, da er ihn sah, lachte er begeistert, schnappte sich den zappelnden Roboter und kam hopsend zu ihm gelaufen. Er nahm seine Hand, und beide blickten kurz durch die Gasse. In der Ferne glühte die verschnörkelte Gartentür unter dem bleichen Wunderlicht. Ali wußte gar nicht, in welche Straße diese Tür führte.
    »Komm mit, Papa«, sagte Patrick und zog Ali wieder aus der Gasse hinaus. Durch den Nebel brach allmählich der Sonnenschein, der bald den ganzen Ort beherrschen würde. Vater und Sohn lachten, während sie Hand in Hand die Straße hinuntergingen. Dabei sahen sie geradewegs in das wunderbare helle Sonnenlicht - und sie gingen in das Licht.

aus: »Die Zeit« vom 26.7.2001
     
    Tod im Totenreich
     
    Wie erst jetzt bekannt wurde, verstarb am vergangenen Sonntag der weltbekannte Maler Alfred Seichtem in einer Klinik im schweizerischen Lausanne, nachdem er dort vier Jahre im Koma gelegen hatte. Das Echo in der Kunstwelt schwankt zwischen Bedauern und Zustimmung für die ärztliche Entscheidung, die Überlebensapparaturen nach so langer Zeit abzuschalten. Seichtem gehörte zu den sogenannten modernen Existentialisten, die sich vornehmlich in fotorealistischer Manier mit den Schattenseiten des Lebens, vor allem jedoch mit dem Tod beschäftigen. Seine großformatigen Gemälde, zumeist Porträts und Akte von Opfern grausiger Unfälle oder Morde, erzielten auf dem internationalen Kunstmarkt zuletzt siebenstellige Summen. Einer der ganz Großen ist von uns gegangen, so auch dort die einhellige Meinung.
    Seichtem schaffte seinen internationalen künstlerischen Durchbruch Anfang der neunziger Jahre mit schockierenden Bildern von Toten, was ihm in der Presse schnell den Ruf des »Totenmalers« einbrachte. Später wurde seine Kunst jedoch immer mehr gewürdigt. Man verglich ihn sogar mit Brueghel und Hieronymus Bosch. Im Sommer 1997 wurde er selbst Opfer eines folgenschweren Unfalls. Beim Versuch, seinen Sohn Patrick vor einer nahenden
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