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Die Trugburg

Die Trugburg

Titel: Die Trugburg
Autoren: Horst Hoffmann
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Tautropfen auf den Maschen des Netzes abzulecken. Sein linkes Auge war ganz zu, und die Hände – besaß er sie noch?
    Er konnte den Kopf nicht drehen, um sich dessen zu vergewissern. Er war so eingeschnürt, daß er immer nur starr geradeaus blicken mußte, auf den Weg.
    Und dann sah er die junge Frau.
    Sie war wunderschön und von erhabener Gestalt. Ihr Haar lag in großen Locken bis weit über die anmutigen Schultern und hatte die Farbe des Goldes. Ihr einfaches weißes Gewand fiel bis auf den Boden. Ihre festen Brüste darunter und ihre Hüften verrieten, daß sie alles andere als noch ein Kind war. Ihre Füße sah Mythor nicht, sie schien zu schweben.
    Ihm stockte der Atem. Woher kam sie?
    Sie war ganz einfach dagewesen, so wie jemand vor einem stand, wenn man plötzlich aufwachte. Aus großen, dunklen Augen sah sie jetzt herüber. Noch schien sie sich vor dem Näherkommen zu fürchten. Und überhaupt war in ihren Blicken eine seltsame Scheu.
    »Mythor?« fragte sie zaghaft.
    Woher kannte sie seinen Namen?
    Er stellte sich diese Fragen nicht wirklich. Der Zauber, der von ihr ausging, ließ einen Mann keine Fragen stellen. Es war, als risse durch sie der Nebel auf, als brächte sie das Licht zurück in eine Welt, die keine Sonne und keine Sterne kannte.
    Ihre Hände waren in den weiten Ärmel des weißen Gewands verborgen gewesen. Nun zog sie sie langsam heraus, und in der Rechten hielt sie die Totenmaske!
    Sie warf sie unter das Netz, als hätte sie sich die Finger an ihr verbrannt.
    »Du bist Mythor?« fragte sie wieder.
    »Ja«, brachte er hervor.
    Die Wunderschöne kam näher.
    Plötzlich verschlossen sich ihre Züge. Sie wurden hart. In die dunklen Augen trat ein zorniger Schimmer.
    »Magie!« rief sie aus. Dann wischte sie mit einer Hand durch die Luft. »Überall ist Magie. Ich hasse sie! Fort damit!«
    Und das Netz löste sich auf. Die Maschen fielen auseinander. Mythor landete hart auf dem Boden, gleich neben der Gesed-Maske, von der sich die Knoten lösten.
    »Verzeih«, flüsterte die Unbekannte. »Vergib mir, daß ich mich so gehen ließ, doch auch ich bin in einem Netz aus Magie gefangen.« Sie blickte versonnen auf die Maske. »Ich fand sie am Wegesrand bei einem getöteten Mischwesen. Ich kenne die Zaciden, nur ein Rudel Doppelmaulwölfe kann ihn überrascht und zerrissen haben. Der Aegyr-Geist beschwor mich, nach dir zu suchen. Nach Mythor.«
    »Du hast mich gefunden«, sagte er. Er stand auf und trat von einem Fuß auf den anderen, um die Taubheit daraus zu vertreiben. »Und gerettet. Warum? Wer bist du?«
    »Eine Gefangene«, flüsterte sie.
    Mythor wurde sich seines Aussehens bewußt. Auf einmal kam er sich ihr gegenüber häßlich und schmutzig vor. Sie mochte seine Gedanken erahnen, denn nun kam sie ganz dicht an ihn heran und berührte mit einer Hand seine Wangen. Ihre Haut war zart wie Samt. Mythor hatte das Gefühl, allein durch ihre Berührung würde sein Gesicht heilen.
    »Warte.«
    Sie ging zum Waldrand und suchte nach etwas. Dann bückte sie sich nach bestimmten Blättern und kam zurück, um sie ihm aufzulegen.
    Sie zuckte zusammen. Wieder sah er die scheuen, suchenden Blicke. Jetzt stand die blanke Angst in ihnen.
    »Hier«, sagte sie schnell. »Nimm die Blätter, presse sie aus und bestreiche die wunden Stellen mit ihrem Saft. Ich kann nichts mehr für dich tun, denn sie sucht schon nach mir.«
    »Wer?« Mythor hielt sie am Ärmel fest, als sie davonlaufen wollte. »Du bist eine Gefangene? Du siehst in die Richtung, in der die Burg liegt, Eroices Burg. Ist sie es, die Macht über dich hat?«
    Sie war so schön – und begehrenswert. Mythor wollte sie nicht so gehen lassen. Er spürte ein Verlangen in sich, das ihn erschreckte. Und abermals war es so, als wüßte sie, was in ihm vorging. Sie legte ihre Hand auf die seine, und für wenige Augenblicke war es zwischen ihnen wie ein Versprechen von tausend Freuden und glücklichen Stunden.
    »Laß mich fort«, flehte sie. »Bitte!«
    »Nicht, bevor du mir gesagt hast, wer du bist und wovor du dich fürchten mußt.«
    »Es ist nicht gut für dich, meinen Namen zu wissen.«
    »Hast du kein Vertrauen zu mir?«
    »Wie sollte ich das? Ich kenne dich nicht, und…« Sie preßte seine Hand noch fester, schien mit sich zu ringen, gab sich einen Ruck. Ihr Blick wurde kalt.
    »Eroice«, sagte sie schnell. »Sie sucht nach mir. Sie hat Gewalt über mein Leben. Laß mich fort, oder sie wird mich zerstören. Sie ruft mich zurück in die
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