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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters
Autoren: John Updike
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und vergessen worden zwischen den Felsen und Bäumen; in Porzellanisolatoren und isolierten Kupferdrähten wohnte das Gespenst der Elektrizität; Teile eines Motorradmotors, mit einem Film schwarz gewordenen Schmierfetts überzogen, erinnerten an eine Zeit, als die steilen alten Wege dem Rennsport eines jungen Mannes dienten. Diese Hektar hatten viel körperliche Arbeit absorbiert: gestapeltes Holz, auf Kaminlänge zugeschnitten, vermoderte zwischen zwei noch lebenden Bäumen und war von Pilzen befallen; Craigs Schuhe scharrten eine glitzernde Karbonschicht unter dem Laub hervor, den Holzkohlerückstand alter Feuer. Es gab Gruben, die aussahen, als seien sie von Menschen gegraben worden, und Erhebungen, die zu regelmäßig waren, um natürlich zu sein. Oberhalb der Eisenbahnschienen, an einem von Eindringlingen ausgetretenen Pfad neben einer einst tadellosen stämmigen Mauer, die sich jetzt gefährlich weit über den erodierten Bahndamm neigte, sammelte er Bierdosen auf, Sixpack-Kästen aus Kunststoff, Glasscherben, Flaschen aus unzerstörbarem Plastik. Im tiefer gelegenen Teil des Geländes, wo eine breite Spur über Kiefernnadeln sich abwärtsschlängelte zu einem Durchgangsweg, der, illegal, durch mehrere Privatgrundstücke zu einem Strand führte, war ein wahres Schneegestöber von blassem Plastikmüll niedergegangen –Deckel von Styroporbechern, Trinkhalme, Milchverpackungen. Auf seinen Erntestreifzügen mit einem Müllsack wurde Craig gelegentlich belohnt, indem er, versteckt in der Stechwinde und im Sumpfgras, Flaschen von einer nostalgischen Dickwandigkeit fand, solche, wie er sie als Kind gekannt und aus denen er Root-Bier und Sarsaparilla getrunken hatte.
    Unbefugte, Besitzer und Gäste waren über das Land getrampelt – uneben, wie es war –, waren drübergetrampelt und hatten ihm Narben zugefügt. Ein uralter Freund des vorigen Besitzers hatte ihm geschildert, wie ein nicht mehr sicher auf den Beinen stehender Dinnergast in einer eisigen, alkoholgeschwängerten Nacht in sein Auto gestiegen und prompt in die Mauer aus mächtigen Steinen an einer Kurve der asphaltierten Zufahrt geschlittert war; die Stoßstange hatte einen backenzahnförmigen Findling herausgeschlagen, der jetzt einige Dutzend Meter weiter weg im Wald hockte – ein beständiges Denkmal für das Missgeschick eines Augenblicks, zu massiv, in dieser schwächlichen neuen Zeit, um an seinen Platz zurückgebracht zu werden. Als Craig sich erkundigte, ob man nicht mit entsprechendem Gerät kommen und den Felsbrocken wieder in die Mauer einfügen könne, sagte man ihm, unter dem Gewicht des Heckbaggers könnte die Zufahrt einbrechen.
    Auf einem Abhang hinter dem gewaltigen Granitkubus, wo Craig selten hinkam, fand er beim Aufsammeln von Totholz einen verkohlten Arbeitshandschuh, steif wie ein totes Eichhörnchen. Mit einem Filzmarker, einer Sorte, die erst in den sechziger Jahren in Gebrauch kam, war auf den Rücken des Handschuhs das Wort SARGE geschrieben. Wer war Sarge gewesen? Einer aus einem Arbeitstrupp, spekulierte Craig, der seinen Handschuh achtlos am Rand einessich ausbreitenden Buschbrands hatte fallen lassen. Oder ein Waldarbeiter, der, Reisig in ein loderndes Feuer werfend, plötzlich sah, dass seine Hand aufflammte, und den Handschuh unter Schmerzen von sich geschleudert hatte. Als er rings ums Haus, bei einem Frühjahrsputz, organische Abfälle zusammenharkte, entdeckte Craig unter einem überhängenden Forsythienstrauch etwas weich Geschwungenes aus schimmerndem Porzellan, und es mit den Fingern ausgrabend, sah er, dass es der Henkel einer Teetasse war. Er grub ungefähr sechs Fragmente aus; jemand hatte die zarte Porzellantasse mit Goldrand im Garten fallen gelassen oder zerbrochen, vielleicht ein Kind, das aus Angst und schlechtem Gewissen den Beweis seiner Missetat in einer Rabatte vergraben hatte. Das feine Porzellan der Tasse ließ auf eine der frühen Epochen schließen, vielleicht auf die fast mythische erste. Zeit und Feuchtigkeit können Porzellan, im Gegensatz zu Metall und Holz, nichts anhaben. Aber die Erde, gefrierend und tauend in ihrem Jahreszyklus, bringt irgendwann an die Oberfläche, was der Übeltäter sicher begraben und für immer verborgen glaubte.

    Craigs Träume, jene, die ihn genug beunruhigten, um ihm noch im Gedächtnis zu haften, wenn er aufwachte, kehrten, wie ein Hund zu einer verscharrten Beute, immer wieder zu einem verhältnismäßig kurzen Abschnitt seines Lebens zurück, als er in einen
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