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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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üppig wuchernden Mangrovenwäldern und feuchtem, dampfendem Regenwald, in dem wie Juwelen glitzernde Vögel herumflatterten und Schmetterlinge, so groß wie die aus Seide und Elfenbein gefertigten Fächer, mit denen die Damen sich Kühlung zufächelten, und ebenso leuchtend bunt. Es gab jedoch auch andere Bilder, so finster wie die Höllenvisionen in barocken Kirchen, Beschreibungen von den schrecklichen Feuerbergen, von Kaskaden glühender, rauchender Lava, schauervollen, turmhohen Wolken, Ascheregen und berstender Erde. Man stieß dort auf Teiche, die von siedendem Schwefelwasser brodelten wie Kochtöpfe, und gelegentliche unruhige Fluten, weil die Vulkane auch unterhalb des Meeres ihre Glut emporschleuderten. In manchen Gegenden bebte das Land, als tobten Ungeheuer unter seiner Oberfläche. Die Türen und Fenster ratterten ständig, weil die Erde sich ruckartig hob und senkte. Es sei nichts Ungewöhnliches, dass mitten während einer Mahlzeit plötzlich die Gläser vom Tisch und die Teller von den Wandborden fielen! Nein, was für ein Land! Wie sollte man da anständig essen, wenn alles auf dem Tisch wackelte und einem Senf und Soßen aufs Kleid spritzten?
    Schließlich legte Anna Lisa das Lexikon weg. Sie würde das alles bald mit eigenen Augen sehen, da brauchte sie sich jetzt den Kopf nicht zu belasten!

Ein Vater und zwei Söhne
    B artimäus Vanderheyden und sein Sohn Simeon saßen einander im Empfangszimmer des Patrizierhauses im vornehmsten Viertel von Amsterdam gegenüber. Das Licht der tief am Horizont stehenden Sonne kämpfte gegen die Schatten des Abends an, sodass jene merkwürdig fleckige, goldgetönte Beleuchtung im Raum herrschte, wie sie für flämische Malereien typisch war. Noch waren die Lampen nicht angezündet. Nur unbestimmt tauchten rote Seidentapeten in barock verschnörkelten Goldrahmen aus dem Zwielicht auf, ein paar samtbezogene Bänke und Stühle, künstliche Blumenbouquets von überbordender Größe in bronzenen Bodenvasen. Ein Großteil des Raumes war mit mannshohen Vitrinen und Ladenschränken aus poliertem Walnussholz umgeben, was ihm Ähnlichkeit mit einer Apotheke verlieh. Die Fächer mit den Glasfronten enthielten jedoch keine Arzneien, sondern Schaustücke der Kaffeesorten, von denen es zwischen Brasilien und Hawaii immerhin an die vierzig verschiedene gab.
    Zwischen diesen Vitrinen hing ein fast lebensgroßes Gemälde im goldenen Rocaillerahmen, das einen Mann in altmodischer Tracht darstellte. Sein spitzes, eingefallenes Gesicht ragte aus einer spanischen Halskrause, er trug ein enges, reich besticktes, schwarzes Wams und hatte die Hand auf den Griff eines Degens gelegt. Am unteren Rand war der Name des Dargestellten angegeben: Jan Pieterszoen Coen. Vierter Generalgouverneur von Ostindien. Ihn hielt Bartimäus Vanderheyden in hohen Ehren, denn dieser bleiche Mann mit dem bedrohlich spitzen Schnurrbart galt allgemein als der Begründer des holländischen Handelsimperiums. Er war es, der 1618 ein winziges britisches Fort an der Mündung des Ciliwung-Flusses, ganz in der Nähe eines Dorfes namens Jayakarta, überfiel, eroberte und daraus die Keimzelle der Stadt Batavia machte. Sie blühte rasch auf: 1621 war Batavia bereits eine Stadt, in der Handel und Gewerbe aller Art, aber auch die Wissenschaften und Künste gediehen. Obwohl die junge Stadt eigentlich sehr ungünstig lag, tief im fieberverseuchten Schwemmland, wurde sie unter Coens geschickter Regentschaft in kürzester Zeit zur Kommandozentrale eines Imperiums, das weit über Java, ja, weit über den Malaiischen Archipel hinausging. Der Einflussbereich des Gouverneurs erstreckte sich bis Japan, Formosa, Indochina, Laos, Thailand und Ceylon. Das kümmerliche Sumpfnest Batavia stieg in schwindelerregendem Tempo auf zur »Königin des Ostens«, zur Drehscheibe des Handels in einem Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Militärischer Stützpunkt, Verwaltungssitz und Handelsstützpunkt, war die Stadt an der nördlichen Mündung der Sundastraße inzwischen der wichtigste Umschlagplatz für den Handel mit Kaffee und Kakao, der Bartimäus Vanderheyden reich gemacht hatte.
    Der Handelsherr – klein, vierschrötig, mit derben Zügen und einem Busch von aschblondem Haar – saß an der Seitenwand des Salons auf einem Armstuhl mit geschweiften Lehnen und Löwenklauen-Füßen. Es war boshafte Absicht, dass er seinen Sohn trotz der wichtigen geschäftlichen Besprechung nicht ins Kontor gebeten hatte, sondern hierher in den Salon,
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