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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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paradiesischen Landschaften und den schier unermesslichen Schätzen an Kaffee, Kakao, Kokosöl, Gewürzen wie Muskat und Pfeffer, Rohrzucker, Reis, bunten Seidentüchern, Elfenbeinschnitzereien und anderen Kolonialwaren, aber auch von Feuer speienden Bergen, Fieberepidemien und heimtückischen Wilden, die nachts die friedlichen Siedler mit vergifteten Pfeilen angriffen. Sie war überrascht gewesen, als sie dann hörte, dass die Hauptstadt Batavia eine äußerst moderne Stadt sei, edler als so manche in Europa, mit marmornen Prunkbauten, Ehrfurcht gebietenden Kirchen und Palästen, Orten der Wissenschaft und Kunst und luxuriösen Hotels. Die reichen Engländer, Deutschen und Holländer, zu denen sie ja dann gehören würde, lebten in aufwendig ausgestatteten Villen mit Gärten und hielten sich eine große Dienerschaft, ganz wie sie es aus Deutschland gewohnt waren.
    »Wir bleiben für immer dort?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
    »Das wird sich zeigen. Vorderhand einmal für ein paar Jahre. Sein Vater will, dass er das Handwerk eines Pflanzers von Grund auf beherrscht, ehe er die Firma übernimmt. Eine sehr kluge Entscheidung, möchte ich dazu sagen.«
    Lobrecht spielte unbehaglich mit seinem Spazierstock. Er fand, dass er alles Nötige gesagt hatte und es eigentlich an der Zeit war, sich wieder seinen Geschäften zu widmen. Andererseits wollte er seine einzige Tochter – die er ja doch sehr gern hatte – bei einem so entscheidenden Gespräch nicht kurz und knapp abfertigen. Also fügte er einige Schnörkel hinzu. »Ich kenne Simeon persönlich. Ich meine, ich habe ihn bei einer meiner Geschäftsreisen nach Amsterdam schon einmal getroffen. Ein ruhiger junger Mann. Sehr intelligent und belesen. Angenehm. Unaufdringlich.«
    Damit meinte er eigentlich, dass der Jüngling den Eindruck eines schwächlichen Bücherwurms auf ihn gemacht hatte, dass er ihm beinahe weibisch erschienen war, jedenfalls allzu sehr in sich gekehrt, um ein tüchtiger Geschäftsmann zu werden. Aber das brauchte er Anna Lisa nicht auf die Nase zu binden. Für sie war es gleichgültig. Für die Familie Lobrecht insgesamt auch, denn bei drei Söhnen, von denen jeder einzelne ein Prachtkerl war, die ganze Freude des alternden Vaters, konnte er sich auch einen eher wenig befähigten Schwiegersohn leisten. Bartimäus Vanderheyden hatte dafür bei seinen Forderungen nach Mitgift ordentlich zurückstecken müssen. Lobrecht rieb sich in Gedanken die Hände, als er an das gute Geschäft dachte.
    »Ja, ich denke«, beschloss er seine Ausführungen, »wir werden alle sehr zufrieden sein. In zwei Wochen wird dein Bräutigam uns einen offiziellen Besuch abstatten. Dann wollen wir mit der Hochzeit nicht mehr allzu lange herumtrödeln, denn die Reise ist lang, und ihr wollt nicht mitten in der Regenzeit in Java ankommen.«
    In den Tropen, erklärte er ihr, gäbe es statt vier Jahreszeiten wie in Europa nur zwei, eine trockene und eine nasse, die von Oktober bis März andauerte und im Januar und Februar ihren Höhepunkt erreichte. Der Wechsel von der glühend heißen Trockenzeit vollzog sich mit einer ganzen Reihe von furchtbaren Gewittern, wie man sie sich außerhalb der Tropen gar nicht vorstellen konnte, danach goss es jeden Tag wie aus Eimern. Bei einer Luftfeuchtigkeit zwischen siebzig und fünfundneunzig Prozent wurde nichts mehr richtig trocken, die Hausmauern soffen sich voll wie Schwämme, auf den Kleidern bildeten sich Stockflecken. Die unbefestigten Landstraßen verwandelten sich in Schlammkuhlen. Wer mit Pferd und Wagen unterwegs war, musste damit rechnen, alle paar Meilen bis zu den Achsen im zähen Lehm stecken zu bleiben. Dann mussten Boten ins nächste Bauerndorf geschickt und die widerwilligen Landleute beschwatzt und bestochen werden, um mit ihren Wasserbüffeln den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Währenddessen standen die Reisenden, schlammbespritzt bis an die Hutkrempe, im strömenden Regen, um sich schließlich nach all den »Hau-ruck!« und »Ho! Ho!« durchnässt und verdrossen in die schimmlig miefende Kutsche zu zwängen. Meistens wiederholte sich ein paar Meilen weiter dasselbe Spektakel.
    Herr Lobrecht fuhr fort: »Die Plantage liegt ein gutes Stück abseits der Hauptverkehrsrouten, ihr würdet sie gar nicht erreichen, wenn alle Straßen knietief im Schlamm versinken und alle Furten überflutet sind. Spätestens im Juni solltet ihr dort sein. Ein Monat Aufgebot sollte genügen, denke ich. Einwände wird ja niemand
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