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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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mit einem als böse bekannten Mann verheiratet. Keinem, der sie schlug oder ihr eine Mätresse vor die Nase setzte oder sie vor den Dienstboten lächerlich machte. Elmer Lobrecht war zwar Geschäftsmann bis ins Mark seiner mächtigen Knochen, aber er war ein ehrenwerter Mann; bei allem Interesse an einer guten Partie hätte er es nie in Kauf genommen, sein Kind unglücklich zu machen. Soweit man das jemals mit Gewissheit über einen anderen Menschen sagen konnte, waren alle vier, von denen einer ihr Gatte werden sollte, ehrbare Männer, gesellschaftlich angesehen und frei von gröberen Lastern. Was wollte man mehr? Obwohl Anna Lisa wie alle Mädchen von der großen Liebe träumte, machte sie sich keine Illusionen. Sie wusste längst, dass es bei den meisten Ehen nicht um Liebe ging, sondern um Vermögen und Familienpolitik. Frauen heirateten nicht, sie wurden verheiratet. Und den jungen Männern ging es nicht nennenswert besser. Obwohl sie von Gesetzes wegen in ihrer Wahl frei waren, hatten sie kaum eine Chance, sich dem Druck ihrer Familien zu widersetzen.
    Als sie mit ihrem Debüt bei einem Ball im letzten Winter in die Gesellschaft eingeführt wurde und damit als heiratsfähig galt, hatten sich viele Augen mit Interesse auf sie gerichtet. Sie war ja auch eine exzellente Partie, die einzige Tochter der weltbekannten Reederei Lobrecht, siebzehn Jahre jung, nach dem frühen Tod der Mutter aufs Beste erzogen von Gouvernanten und Hauslehrerinnen und vom Vater mit einer üppigen Mitgift versehen. Es war hauptsächlich die Höhe dieser Mitgift, die sie von den anderen Debütantinnen unterschied, denn ihr Aussehen und ihr Wesen waren in keiner Weise außergewöhnlich.
    Sie war eine blasse, noch sehr kindlich wirkende junge Frau mit vollem, hellbraunem Haar, das im Licht der Lampe wie Bernstein schimmerte, und einem ebenmäßigen, aber seltsam ausdruckslosen Gesicht. Elsa, die ihren Schützling sehr aufmerksam beobachtete, schien es manchmal, dass Anna Lisa eher einem Gemälde als einem lebenden Menschen glich. Obwohl sie zumeist ein charmantes Lächeln zur Schau trug und ihre großen, nougatbraunen Augen mit den breit gefächerten Wimpern sich lebhaft bewegten, fehlte es ihrem Gesicht an Persönlichkeit. Sie lächelte, sie schmollte, sie lachte, sie seufzte – aber es schien so wenig Zusammenhang zwischen diesen äußerlich zur Schau getragenen Regungen und ihrem inneren Wesen zu bestehen, wie sich die von einer Schauspielerin dargestellten Gefühle vollkommen von ihrem wirklichen Inneren unterscheiden mögen. Ihr Vater nannte sie in familiären Augenblicken sein Püppchen, und tatsächlich hatte sie noch viel zu wenig vom Leben gesehen, um mehr zu sein als ein unschuldiges, reizvoll anzusehendes Dekorationsobjekt.
    Sie hatte beim besten Willen nicht gewusst, was sie antworten sollte, als ihr Vater sie gefragt hatte, ob sie einen der Kandidaten bevorzugte. Ihr war zumute gewesen, als sollte sie unter vier verschlossenen Flaschen Wein wählen, deren Etiketten sich alle ähnelten und deren Inhalt sie nicht schmecken konnte.
    »Einen musst du aber nehmen, und zwar bald«, hatte der Vater sie mit Nachdruck ermahnt. »Mit siebzehn sollte ein Mädchen verlobt sein, und die Auswahl in unseren Kreisen ist nicht groß. Wenn du nicht aufpasst, schnappen dir die anderen die fetten Bissen weg. Du kannst schließlich keinen Leierkastenmann heiraten. Für dich kommt nur ein Kapitän oder der Sohn eines reichen Kaufmanns infrage.« Er überlegte, dann fragte er: »Hast du eine besondere Abneigung gegen einen von ihnen, sodass wir ihn ausschließen können?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann«, sagte der Vater in entschiedenem Ton, »kann ich mit gutem Gewissen die Wahl für dich treffen. Ende Februar hast du deinen siebzehnten Geburtstag, das ist der richtige Termin, um die Verlobung öffentlich zu verkünden. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid.«
    Und nun lag sie da in ihrem jungfräulichen Bett – wie lange noch, und sie würde in einem Ehebett liegen? – und sah im Kerzenschein das besorgte Gesicht ihres treuen Kindermädchens. »Ist das nicht seltsam, Elsa?«, murmelte sie nachdenklich. »Alle meine Freundinnen reden ständig vom Heiraten, ich meine oft schon, sie können an rein gar nichts anderes denken. Ständig wählen und verwerfen sie Männer und tun, als wären die einen Engel und die anderen Teufel, aber mir erscheinen sie alle gleich langweilig. Gewiss, es gibt ein paar, die ich ganz sicher nicht heiraten möchte,
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