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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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Haushaltsfragen zu finden, wie sollte es nun erst mit einem kaum siebzehnjährigen Mädchen vonstattengehen! Aber er konnte ihr schließlich nicht von den Dienstboten ausrichten lassen, dass er einen Mann für sie gefunden hatte. Also biss er in den sauren Apfel und lud sie zu einer Kutschenfahrt ein, der sich ein längerer Spaziergang durch den Hagenbeck’schen Tiergarten anschloss.
    Es war kein angenehmer Tag, um spazieren zu gehen. Olivbraune Wolken hingen so tief über der Hansestadt, dass die Spitze des berühmten Michel sich in ihre Bäuche zu bohren schien, und ein kalter Wind wehte. Anna Lisa hatte ihren Hut mit doppelten Schleifen unter dem Kinn festgebunden, damit die immer wieder durch den Tiergarten brausenden Windsbräute ihn ihr nicht vom Kopf rissen, und sich ein seidengefüttertes, mit Pelz verbrämtes Cape um die Schultern gewickelt.
    »Du kannst dir wohl bereits denken, worüber ich mit dir sprechen will«, begann der Reeder steif. Als müsste er die Worte unterstreichen, stieß er bei jedem Schritt mit der Spitze seines Spazierstocks aufs Pflaster. »Ich habe die Wahl eines Gatten getroffen. Es ist mein Wunsch und Wille, dass du Simeon, den Sohn meines bewährten Geschäftsfreundes Bartimäus Vanderheyden, heiratest.«
    Also war es doch der Holländer, der ihr Mann werden sollte. Einen Augenblick lang stockte Anna Lisas Herzschlag. Bis dahin hatte sie ernstlich gedacht, es sei ihr gleichgültig, welchen Kandidaten ihr Vater bevorzugte, aber als er den Namen nannte, überkam sie die Erinnerung an ihren Albtraum und ein leichtes Schwindelgefühl, als wollte sie ohnmächtig werden. Mit einem tiefen Atemzug straffte sie die Schultern, und der Schwindel ließ nach.
    »Du schweigst?«, fragte Lobrecht irritiert. »Ist es dir doch nicht recht?«
    »Oh, nein. Ich meine: Ja, es ist mir recht.« Vor Verlegenheit begann sie zu kichern. »Er ist mir jedenfalls viel lieber als der Kapitän mit seiner Kartoffelnase.« Der Reeder schnaufte irritiert. Was war so ein Mädchen doch für ein dummes Huhn! Da ging es um die Zukunft von Handelshäusern und Kompagnien, und sie machte sich Gedanken darüber, ob ihr Zukünftiger eine dicke Nase hatte oder nicht! Gott in seiner Weisheit hatte es schon richtig angeordnet, dass Männer über Frauen herrschen sollten, sonst wäre die Welt in ein heilloses Durcheinander geraten. »Anna Lisa«, fuhr er sie scharf an, »ich bitte mir aus, dass ich über ein derart ernsthaftes Thema ernsthaft mit dir reden kann!«
    Beschämt ließ sie den Kopf hängen. »Es tut mir leid, Vater. Ich wollte ja nur sagen, ich bin sehr froh über deine Wahl.« Und um ihn nicht weiter zu verärgern, stellte sie rasch eine vernünftige Frage. »Wenn ich ihn heirate, werde ich dann in Amsterdam wohnen?«
    »Nein. Sein Vater besitzt, wie du weißt, mehrere große Kaffeeplantagen, darunter eine an der Westküste von Java, das Gut Buitenhus in der Nähe von Batavia. Sobald Simeon verheiratet ist, wird er dessen Leitung übernehmen. Das heißt, du wirst mit ihm nach Java ziehen.«
    »Oh.« Was sollte sie dazu sagen, um nicht erneut angeschnauzt zu werden? Soviel sie wusste, war Java sehr schön, aber auch sehr weit weg. Ein leiser Schauder durchrann sie. Wie mochte das sein, in ein so fernes Land zu reisen? Sie sah zwar jeden Tag durch die Fenster des väterlichen Hauses die Schiffe kommen und gehen, war aber noch nie selbst an Bord eines Schiffes gewesen. Für ein Mädchen, das bislang gerade einmal bis Altona gekommen war, hatte die Reise etwas Erschreckendes an sich und noch mehr der Gedanke an das dunkle, fremdartige Feuerland, aus dem all die Gewürze, der Kaffee und Tee und die kostbaren Hölzer in den Laderäumen der väterlichen Schiffe stammten.
    Naturgemäß waren die Wasserwege ein Hauptthema der Gespräche mit den Kapitänen und Kaufleuten, die im Haus ihres Vaters verkehrten. Sie wusste daher, dass Java eine große Insel in Niederländisch-Ostindien war, umgeben von der Javasee im Norden, der Sundastraße im Westen, dem Indischen Ozean im Süden und der Straße von Bali im Osten. Es gab dort mehrere große und bedeutende Häfen, allen voran die Residenzstadt Batavia in West-Java, am nördlichen Ende der Sundastraße. Wie das Land jedoch im Inneren aussah, davon hatte sie nur verschwommene Eindrücke bekommen, denn die Schiffsherren wussten selbst nur, was Händler und Beamte ihnen erzählten. Was sie darüber gehört hatte, war sehr zwiespältig gewesen: Die Kapitäne erzählten von
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