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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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erheben.«
    »Ich gewiss nicht, Vater«, stimmte sie zu, eifrig bemüht, ihn in gute Laune zu versetzen.
    »Das möchte ich dir auch nicht geraten haben, jetzt noch deine Meinung zu ändern. Von einem Kontrakt, der einmal geschlossen wurde, tritt man nicht mehr zurück.« Es klang brummig, aber in Wirklichkeit machte er sich keine Sorgen, dass sie den gewählten Bräutigam plötzlich doch noch ablehnen könnte. Sie war ein gutes Mädchen, das seinem Vater keinen Ärger machte. Und außerdem, welchen Grund hätte sie gehabt, unzufrieden zu sein? Heiratsfähige Söhne reicher Handelshäuser schüttelte man nicht von den Bäumen, und wenn sie noch dazu einen bekam, der gut aussah – worauf die Frauen ja solchen Wert legten –, konnte sie sich wirklich alle zehn Finger ablecken.
    »Also«, fügte er freundlicher hinzu, »kannst du dich bereits an die Vorbereitungen machen. Ich überlasse es dir und der Wirtschafterin, alles zu arrangieren. Und was das Hochzeitskleid angeht und die Kleider und alles Nötige für die Reise, da wollen wir nicht knausern. Mach mir deine Vorschläge, ich werde großzügig sein.« Er fand, dass das ein sehr guter Abschluss für ein Gespräch war, dessen Länge ihn jetzt doch schon nervös machte. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt für dein Leben als Mevrouw Vanderheyden, Anna Lisa. Und jetzt komm, wir fahren zurück. Ich muss wieder an die Arbeit.«
    »O Elsa, ich habe mit Papa gesprochen, und er sagt, ich bekomme den Holländer!«
    Wenn ihr irgendetwas Aufregendes widerfuhr, verwandelte das fast erwachsene Fräulein Lobrecht sich immer noch in das Lieschen, das mit allen Freuden und Sorgen als Erstes einmal zu ihrem Kindermädchen rannte. Zu wem hätte sie sonst auch laufen sollen? Ihre Mutter war so lange tot, dass sie sich nur sehr unbestimmt an eine freundliche Frau erinnerte – eine schemenhafte Gestalt, von der ihr kaum mehr als die langen, im Nacken aufgesteckten Zöpfe in Erinnerung geblieben waren. Im Haus lebten zwei unverheiratete Tanten, die aber beide wenig Interesse an kleinen Mädchen zeigten. Anna Lisa erschienen sie wie zwei mürrische Wiesel mit langen spitzen Schnauzen und kleinen, unfreundlich funkelnden Augen. Von ihren Brüdern war der Jüngste, Michel, bereits auf die Schule gegangen, als sie zur Welt kam, und der Älteste, Carl Gustav, hatte sich gerade bereit gemacht, als Lehrling in die väterliche Firma einzutreten. Sie hatte mehrere Gouvernanten gehabt, die sie in allem unterrichteten, was ein junges Mädchen wissen musste, aber obwohl die Gouvernanten angenehme junge Frauen waren und Anna Lisa eine gefügige Schülerin, hatte sich zu keiner von ihnen ein solches Vertrauensverhältnis herausgebildet, dass sie ihnen ihr Herz ausgeschüttet hätte. Nein, es blieb dabei, selbst als sie schon ihr Ball-Debüt hinter sich gebracht hatte: Wenn sie weinte, weinte sie in Elsas Armen; wenn sie glücklich war, hüpfte sie lachend und rufend die Stufen ins Dachgeschoss empor.
    »Wirklich, Fräulein?«
    »Wenn ich es dir doch sage!« Anna Lisa zog einen Schemel herbei und kauerte sich neben dem Lehnstuhl zusammen, in dem die Alte, zusammengeschrumpft wie ein Herbstblatt, mit ihrer steif gestärkten Schürze und der faltigen Haube saß. Sie griff nach der kalten, knotigen Hand und drückte sie. »Papa hat schon alles arrangiert, aber stell dir vor, das Aufregendste ist, wir fahren nach Java und werden dort wohnen!«
    »Wie? Zu den wilden Heiden dort?« In Elsas Gedankenwelt waren alle Menschen, die außerhalb von Europa lebten, Heiden und zudem: wilde Heiden, die grausame Bräuche pflegten, vielleicht sogar ihrem Liebling ein Leid antaten! »Da lässt Ihr Vater Sie hinfahren? Hat er denn keine Angst um Sie?«
    Anna Lisa versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche. In Batavia gab es gewiss keine Heiden. Oder doch? Nun, jedenfalls keine Wilden, und wenn es doch welche gab, so sorgten die holländischen Behörden schon dafür, dass sie nichts anstellten. Die junge Frau fand sich in der Lage, ihrem Kindermädchen Dinge erklären zu müssen, von denen sie selbst nichts verstand. Ihre Vorstellungen von den Kolonien waren einer einzigen und höchst zweifelhaften Quelle entsprungen: Vor ihrem Ankleidetisch stand schon seit ihren Kindertagen ein mannshoher, dreiteiliger Paravent, der mit buntem Cretonne bespannt war. Der Stoffdruck zeigte eine Landschaft, in der sie als Kind oft lange in Staunen versunken war. Da sah man Schiffe auf stürmischer See,
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