Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
Vom Netzwerk:
rauchende und Flammen speiende Berge, schuppige Seeungeheuer, fremdartige, leuchtend bunte Blumen und Früchte und zwischen all diesen Seltsamkeiten wunderliche kleine Wesen, schwarz und braun wie verbrannte Pfefferkuchenmännchen, die phantastische Kostüme und Federkrönchen auf dem Kopf trugen – wie Wiedehopfe sahen sie damit aus. Die Person, die das Muster entworfen hatte, hatte sich wohl keine großen Gedanken darüber gemacht, ob die Menschen in den Kolonien wirklich so aussahen, schon gar nicht darüber, dass ein Afrikaner etwas ganz anderes war als ein Balinese oder ein Haitianer. Über solche Unterschiede machte man sich in Deutschland kein Kopfzerbrechen. Was außerhalb von Nordeuropa wohnte, waren die »Söhne Hams«, im besten Fall possierlich, im schlimmsten Fall gefährlich.
    Anna Lisa hegte eine unbestimmte Vorstellung, dass diese Menschen von alters her nichts anderes getan hatten, als in ihren paradiesischen Landschaften ziellos umherzulaufen, vielleicht dann und wann einmal eine Blume zu pflücken oder eine Frucht zu essen. Sie waren wie die Lilien auf dem Felde, von denen in der Bibel die Rede war: Sie ackerten nicht, sie ernteten nicht, sie spannen und webten nicht. Das alles hatten erst die tüchtigen europäischen Siedler getan, die an den Küsten dieser Landstriche landeten. Sie waren es gewesen, die Plantagen anlegten, Kaffee und Tee, Reis und Bananen anbauten, gossen, jäteten und schließlich die Früchte ihrer harten Arbeit ernteten.
    Anna Lisa wusste, dass die Leute auf Java dunkelhäutig und zierlich waren – »kleine braune Affen«, hatte einer der Kapitäne sie genannt; sehr flink und geschickt in allen Dingen, fröhlich und gefällig, aber natürlich in keiner Weise mit Europäern vergleichbar. Das schien überall der Fall zu sein, wo die Lobrecht’schen Seeleute an Land gingen: Nirgends auf der Welt gab es Menschen, die den Europäern, vorzugsweise den Deutschen, gleichkamen. Viele dieser schwarzen, gelben und zimtbraunen Leute hatten durchaus ihre Vorzüge, aber es waren eben Vorzüge, wie Hunde, Katzen und Pferde sie hatten, die man ja auch bewundern konnte, ohne sie deshalb den Menschen gleichzustellen.
    In Elsas Gedankenwelt war das eine direkte Folge der Tatsache, dass diese Menschen eben keine Christen waren oder immerhin keine Christen von der ernsten, bibelfesten Art, wie Elsa eine war. Woher hätten sie denn höhere Tugenden haben sollen, wenn ihnen keine Taufe zuteilgeworden war? Man sah es ja selbst hier in Deutschland an den Juden, dass die eben anders waren als getaufte Menschen, und die Mohammedaner waren überhaupt Türken – in Elsas Vokabular ein Ausdruck finsterster Verachtung. Türken plünderten, brandschatzten, raubten und spießten kleine Kinder auf ihre langen, geschwungenen Säbel, wie man es in den Geschichtsbüchern nachlesen konnte.
    Anna Lisa hatte ein Leben lang den Ansichten ihres Kindermädchens gelauscht und sie als die ihren übernommen, ohne sich viel Gedanken zu machen. Sie kannte keine Türken und nur zwei Juden, von denen einer Herrn Lobrechts Bankier war und der andere ein schmuddeliger, langbärtiger Mann mit einem Sack auf dem Rücken, der einmal in der Woche im Hinterhof auftauchte und mit seinem »Hand-leee! Hand-leee!« die Dienstboten zum Kauf von Sockenhaltern und Talmischmuck an die Fenster lockte.
    »Mach dir keine Sorgen, Elsa!«, tröstete sie. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einer so schönen und ordentlichen Stadt wie Batavia Türken und wilde Heiden gibt. Wenn es überhaupt welche gibt, wohnen sie wahrscheinlich weit draußen im Dschungel, wo wir ohnehin nie hinkommen. Wir werden in Batavia nicht viel anders leben als hier. Komm, lass uns einmal Meyers Konversationslexikon herausholen und nachsehen, was darin über Java steht!«
    Elsa lehnte ab. Ihre Augen seien zu alt und müde zum Lesen, und außerdem traute sie dem Lexikon nicht. »Meyer«, hatte sie Anna Lisa erklärt, war ein jüdischer Name, und man wusste nie, ob die Dinge, die in solchen von Juden geschriebenen Büchern standen, auch stimmten.
    Also machte Anna Lisa sich allein auf die Suche nach dem Lexikon und studierte auch eine Weile darin, aber sie fand es schließlich recht langweilig – alle die umständlichen Beschreibungen, aus denen sich für sie kein rechtes Bild formen wollte. Was die Landschaft betraf, so musste Java im Ganzen merkwürdig widersprüchlich sein, denn einmal war die Rede von smaragdgrünen Küstengewässern, Palmenstränden,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher