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Die Traene des Drachen

Die Traene des Drachen

Titel: Die Traene des Drachen
Autoren: Christina Matesic
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sie die Luft an. Kellen ergriff sofort ihre Schultern und begann, sie zu schütteln.
    „ Atme wieder, sonst fällst du gleich in Ohnmacht!“
    „ Deshalb also der überstürzte Aufbruch. Ich muss sofort hier raus! Ich muss rennen!“ Elea riss sich von ihm los und stürzte aus dem Stall. Kellen ihr nach. „Warte doch! Ich komme mit.“
    Sie rannte so schnell wie schon lange nicht mehr. Sie rannte, als ob es um ihr Leben ging. Doch Kellen konnte gut mithalten – zunächst zumindest. Elea konzentrierte sich nur auf sich selbst. Sie starrte auf den Pfad, ihren Pfad, den sie mit verbundenen Augen finden konnte. Sie nahm nur ihr Keuchen wahr. Sie wollte nicht denken. Sie wollte einfach nur rennen, wenn es sein musste, bis sie tot umfiel. Nach einer halben Meile ging sie dann aber in einen lockeren Trab über, da sie das Gefühl hatte, ihre Lungen würden jeden Moment platzen. Kellen war immer noch an ihrer Seite, aber mit Mühe. Er war dem Zusammenbruch nahe, was unschwer an seinem Japsen zu erkennen war, das bereits seit einiger Zeit durch den Wald hallte. Da sie sich immer noch weigerte, über ihr unheilvolles Schicksal nachzudenken, richtete Elea ihre Aufmerksamkeit auf die rasch vorbeiziehende Natur: Die ersten Blätter fielen bereits vereinzelt von den Bäumen. Manche Blätter verfärbten sich schon langsam in Orange- und Rottöne. Sie liebte diese farbenfrohen Blätter, vor allem wenn die Sonne sie mit ihren goldenen Strahlen einhüllte und der Wald dann nicht mehr so dunkel und unheimlich wirkte, sondern in einem warmen, rötlichen Schimmer erstrahlte - ähnlich wie ein Sonnenuntergang.
    Kellen trabte immer noch wacker neben Elea her. Seine Atmung hatte inzwischen wieder eine Lautstärke angenommen, die die Waldbewohner nicht mehr panikartig die Flucht ergreifen ließ. Ihm lief an diesem Tag nun schon zum zweiten Male der Schweiß in Strömen Gesicht und Körper hinunter, während Eleas Kleidung auf den ersten Blick noch trocken zu sein schien.
    Nach einer Weile kamen sie schließlich an dem kleinen Waldsee an, auf dessen Wasseroberfläche an verschiedenen Stellen die durch das Blätterdach hindurchbrechenden Sonnenstrahlen fielen. Elea blieb am Ufer stehen und lauschte ihrem keuchenden Atem. Dabei betrachtete sie sich gedankenverloren in dem Spiegel aus Wasser. Kellen hatte sich erschöpft auf den moosbewachsenen Boden fallen lassen und erholte sich dort schweratmend alle Viere von sich gestreckt. Beide schwiegen. Plötzlich wellte sich die Wasseroberfläche, sodass Eleas Spiegelbild verschwamm. Schuld daran war eine Entenfamilie – bestehend aus Vater, Mutter und sechs schon fast ausgewachsenen Entenküken, die aus ihrem grünen, dichten Schilfversteck geschwommen kamen. Sie steuerten auf Elea zu und kamen zu ihr ans Ufer gewatschelt. Elea ging in die Hocke und begann jeden einzelnen Vogel zu streicheln, während die Enten erst zaghaft, dann immer aufgeregter werdend durcheinander quakten. „Und? Was haben sie dir heute zu erzählen?“ Elea erstarrte.
Das kann nicht wahr sein? Wieso weiß er davon? Wie hat er es nur herausgekriegt?
Blitzschnell erhob sie sich und stürzte auf Kellen zu, der es sich inzwischen im Schneidersitz aufgesetzt hatte. Sie blieb fassungslos vor ihm stehen. „Glaubst du etwa, ich hätte all die Jahre nicht deine stummen Zwiegespräche mit den Tieren bemerkt?! Zuerst dachte ich, dass die Tiere dich einfach nur gern haben, weil sie deine Tierliebe und Naturverbundenheit spüren. Doch irgendwann kam ich auf die Idee, dass mehr dahintersteckt. Ich hatte ja genügend Gelegenheiten, dich zu beobachten. Nicht nur unsere Tiere, sondern die scheuen Waldtiere, schienen immer deine Nähe zu suchen, damit du sie streicheln konntest. Ja, und irgendwann mal wurde ich Zeuge einer einseitigen, aber lauten Unterhaltung zwischen dir und unserer trächtigen Kuh.“
    „ Und warum hast du mich nie darauf angesprochen?“ schnaubte Elea ihn an. Sie hatte sich inzwischen vor ihn hingekniet, und zwar so nah, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Kellen entgegnete verletzt: „Warum hast
du
mir nichts davon erzählt? Ich dachte, ich sei dein bester Freund?“
    „ Ganz einfach, weil ich dachte, dass mein Leben wegen der Absonderlichkeit meiner Haare schon kompliziert genug ist. Was glaubst du wohl, wie Albin und Breanna reagiert hätten, wenn sie erfahren hätten, dass ich die Gefühle von Tieren empfinden und ihnen meine auch rein zufällig noch mitteilen kann?!“, fauchte Elea ihn an. Kellen
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