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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Giuliano Pasini
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schreibst, die wegen der guten Luft in dieses Dorf kommen, in dem du dich vergraben hast. Wie vielen Kätzchen hast du denn schon vom Baum geholfen?«
    Wundere dich nicht, wozu ich geworden bin, der Grund dafür bist du, denkt Roberto, ohne den Mut aufzubringen, es ihr zu sagen. »Leg das Stück Holz an seinen Platz zurück«, wiederholt er, auch wenn er sich unter ihrem Blick fühlt wie ein Dieb, der in der Kirche mit dem Opferstock unterm Arm erwischt wird. »Und schick den Rettungswagen zurück ins Dorf. Der wird hier nicht gebraucht. Aber vorher lass dir ein paar Leintücher geben. Ja, eigentlich kannst du auch wieder zurückfahren, wenn du hier fertig bist.« Ich will in meinen Unterschlupf zurück.
    Alice blickt ihn misstrauisch an. Sie weist das Stimmchen zurück, das ihr rät, diese Einladung mit fliegenden Fahnen anzunehmen. »Wenn du hierbleibst, bleib ich auch hier. Punkt.«

8
    N achdem der Rettungswagen gefahren ist, parkt Roberto den Campagnola quer auf der Straße, sodass er die Zufahrt zum Prà grand versperrt. Dann geht er zu Alice und hilft ihr dabei, die Toten mit Tüchern abzudecken. Wenigstens wird euch so die letzte Entwürdigung durch Fernsehkameras und Fotografen erspart.
    Anschließend setzen sich beide auf den Stamm einer umgefallenen Kastanie am Waldrand, die Hände in den Taschen, den Blick auf einen unbestimmten Punkt zwischen ihren Füßen gerichtet.
    Alice seufzt. »Bitte lass uns hier nicht schweigend sitzen und an das Gesicht des Mädchens denken. Lass uns ein bisschen reden. Was wir so machen, warum wir hier sind. Irgendwas.«
    Roberto fühlt sich genötigt, ihr den Wunsch zu erfüllen. Weil er keine Worte findet, fängt er an zu summen:
    » E le frasi, quasi fossimo due vecchi, rincorrevan solo il tempo dietro a noi  …« 1
    Sie verzieht die Lippen zu etwas, das ein Lächeln sein könnte. »Von wem ist das?«
    »Guccini. Schönes Lied. Ein Mann und eine Frau erzählen sich ihre Leben, nachdem sie sich jahrelang nicht gesehen haben. Es heißt …«
    »Stopp, stopp. Erspar mir, von welchem Album es ist, aus welchem Jahr und wie viel Wein Francesco Guccini dabei getrunken hat. Santapolenta, du und deine Liedermacher.«
    Der Wind schüttelt die kahlen Äste der Kastanien. Lang gezogene, angespannte Seufzer, die das Schweigen füllen. Beinahe tröstlich. Nicht für sie. »Ganz schön lang her, dass wir uns gesehen haben«, sagt sie nach einer Weile, als würde sie tatsächlich zum Wind sprechen.
    »Und in was für einer Situation treffen wir uns wieder.«
    »Ich weiß, dass ein Vögelchen dir gesagt hat, dass ich nach Bologna zurückgekommen bin, genauso wie es mir verraten hat, wo du warst. Bestimmt weißt du auch, dass ich die Rechtsmedizin geschmissen hab und mit achtundzwanzig noch studiere, um einer von den vielen arbeitslosen Allgemeinmedizinern zu werden.«
    Ein Vögelchen? Ihm fällt nur einer ein, der einzige Mensch, der ihre Geschichte kennt. Allerdings unmöglich ein Vögelchen, mit einhundert Kilo und vierzig Zigaretten am Tag. Bernini. Kann das sein?
    »Ein anstrengendes Vögelchen«, sagt sie und kommt damit seiner Frage zuvor. Sie steht auf und wandert langsam zu dem Traktor, der in der Einmündung eines weiter nach oben führenden Wegs geparkt ist. Sie lehnt sich an die Karosserie, auf der Lack und Rost sich um die Vorherrschaft streiten.
    Zu seiner Überraschung geht Roberto ihr nach. »Du wärst eine außerordentliche Rechtsmedizinerin geworden.«
    »Und du warst ein außerordentlicher Ermittler. Es ist absurd, so zu tun, als wärst du es nicht mehr.«
    Roberto wendet sich ruckartig ab. »Du weißt, warum ich hier bin. Du weißt, wogegen ich ankämpfe.«
    Alice löst sich von dem Traktor: »Und du weißt auch, wogegen ich kämpfe. Für mich ist es genauso schwer wie für dich, was denkst denn du? Immer wenn ich glaube, dass alles vorbei ist, irgendwo weit weg, irgendwo in der Vergangenheit vergraben, dann passiert etwas, das mich wieder umkehren lässt. Das kommt mir vor wie die Geschichte vom Hasen und dem Igel, und der Hase bin ich.«
    Bevor Roberto antworten kann, halten zwei Limousinen und ein blauer Kleinlaster mit eingeschaltetem Blaulicht vor dem quer stehenden Campagnola. Ein Hupkonzert setzt ein. Aus dem ersten Wagen steigt ein Mann in Uniform und ruft mit schriller Stimme: »Kriminaltechnik! Lasst ihr uns durch, oder sollen wir rammen?«
    Mit einem unbestimmten Gefühl der Erleichterung geht Roberto auf die Neuankömmlinge zu. Der Albtraum wird gleich zu
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