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Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Giuliano Pasini
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Geburtstagsgeschenk.
    Donnernd explodiert das Auto meiner Eltern. Eine Feuerzunge schießt empor, bis zum Himmel hinauf.
    Ich weine nicht. Genau vor sechs Jahren habe ich meiner Mutter versprochen, es nie wieder zu tun. Es gibt Versprechen, die man als Kind gibt und ein Leben lang hält.

NEUJAHR 1995, SONNTAG
    KEINE ZUFLUCHT IST SICHER GENUG

1
    D as Telefon klingelt, kaum dass die Glocken des nahen Klosters von Braglie aufgehört haben, sieben Uhr zu läuten. Valerio Manzini ist schon auf den Beinen. Neujahr ist der einzige Morgen des Jahres, an dem er für Teresa und die Mädchen das Frühstück macht; die Bezeichnung Mädchen stimmt freilich nicht mehr ganz: Sie gehen in Bologna auf die Universität.
    Er hebt ab. Hört ein Stöhnen, ein ersticktes Luftholen.
    »Wer …«, will er fragen, kommt aber gar nicht dazu.
    Ein Mann schreit los: »Trì mòrt! Trì mòrt!« Drei Tote!
    Mehr sagt er nicht.
    Manzini ist dreiundfünfzig Jahre alt, von denen er dreißig im Kommissariat von Case Rosse Dienst tat, einem winzigen Dörfchen am Hang des Apennins zwischen Modena und Bologna. Er erkennt jede der tausend Seelen des Dorfes an ihrer Stimme: Es ist Berto Guerzoni, ein alter Bauer, der auf einem Hof mitten im Wald lebt. Ein verschrobener Typ, der sich allein betrinkt und nicht wie alle anderen beim Kartenspiel in der Wirtschaft. Die drei Toten könnten auch gespenstische Ausgeburten des Alkohols sein, die ihn in der vergangenen Nacht heimgesucht haben.
    »Beruhige dich, Berto …«, versucht er ihn zur Vernunft zu bringen.
    Der andere hört nicht zu, die Angst hat ihn fest im Griff.
    »Drei Tote am Prà grand! Es ist auch ein Kind dabei, ’ na cìna. «
    Diese Worte ändern Manzinis Stimmung schlagartig. Ohne sich etwas überzuziehen, stürzt er aus dem Einfamilienhaus am Hang des Monte San Giacomo und reißt dabei fast den Weihnachtsbaum um. Für ihn und seine Familie würde es heute kein gemütliches Neujahrsfrühstück geben. Wenn Guerzoni recht haben sollte, dann würde es für irgendjemanden überhaupt kein neues Jahr mehr geben.
    Drei Tote am Prà grand. Darunter ein Kind. Una cìna  – ein kleines Mädchen.

2
    D ie gewundene Straße verschwindet im Nebel. Manchmal erscheint ein Stückchen der Seitenlinie, um gleich wieder zu verschwinden, und strukturiert die unendlich scheinende Fahrt nach oben. Die Mittellinie ist eine Vorstellung in der Phantasie, die auf dem vereisten, glatten Asphalt niemals real wird.
    Der Wagen der Polizei klettert mühsam bergauf, immer einen Gang niedriger, als der Motor es gerne hätte. In jeder Kurve gerät der Fiat Campagnola ins Rutschen und droht die Fahrbahn zu verlassen. Die mächtigen Stämme der Kastanien stehen am Straßenrand bereit, jeden Fehler zu bestrafen.
    Roberto Serra, stellvertretender Kommissar, kann sich nicht konzentrieren. Immer wieder geht ihm Manzinis tonlose Stimme durch den Kopf, während er versucht, sich vorzustellen, was ihn am Monte della Libertà erwartet.
    Hinter einer Spitzkehre taucht plötzlich eine rote Ente aus dem Nebel auf, laut hupend, in großer Eile. Im nächsten Augenblick drängt sie ihn schon an den Straßenrand, lässt ihm kaum Zeit abzubremsen, sodass er den Motor abwürgt.
    Während ihm das Herz bis zum Halse schlägt, startet er das Auto wieder. Nach den letzten quälenden Kilometern bergauf erscheint endlich wieder der tief hängende, undurchdringlich weiße Himmel, der die Welt seit Beginn dieses eisigen und schneelosen Winters bedeckt.
    Er stellt den Wagen vor der halbkreisförmigen Wiese am Gipfel des Hügels ab, den die Einheimischen aus Case Rosse Prà grand nennen, große Weide, auch wenn der Ort auf den Karten Monte della Libertà , Berg der Freiheit, heißt. Er nimmt sich nicht einmal die Zeit, den Mantel über die Uniform zu ziehen. Er setzt sich die Mütze auf, macht sich auf den Weg und zählt die Sekunden rückwärts, die ihn noch vom Horror trennen. Seine Nasenlöcher prickeln in der eisigen Luft. Und von einem Geruch, der nicht zu dem Wintermorgen gehört.
    Autoabgase.
    Das reifüberdeckte Gras knistert unter seinen Füßen. Etwa fünfzig Meter entfernt stehen Menschen, unwirkliche Gestalten, die aus dem tief hängenden Nebel ragen. Unbeweglich, als könnten sie den Blick nicht von der Gedenkmauer lösen, mitten auf der Wiese, umarmt von den Ästen einer alten Eiche.
    Roberto mustert die Autos, mit denen sie gekommen sind. Niemand war so umsichtig gewesen, seinen Wagen in vernünftiger Entfernung abzustellen, nicht
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