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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Goga
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Jahr über in Berlin lebt, gewinnt die Einsamkeit durchaus an Anziehungskraft«, entgegnete die Frau lächelnd. Dann fügte sie mit einem leichten Nicken hinzu: »Henriette Strauss.«
    »Clara Bleibtreu. Ich glaube, ich habe Ihren Namen schon einmal gehört.« Clara hob die Hand. »Sind Sie Ärztin?«
    »Ja«, erwiderte die Frau.
    »Jetzt fällt es mir ein. Meine Freundin Magda Schott hat Sie erwähnt.«
    »Ja, wir kennen uns.«
    »Verzeihen Sie, dass ich so viel frage. Aber ich bin unheilbar neugierig«, sagte Clara.
    Henriette Strauss lachte. »Wenn Sie mir von sich erzählen, erzähle ich auch von mir.«
    »Abgemacht.«
    Henriette Strauss holte eine silberne Dose heraus und bot Clara eine Zigarette an, die diese dankend ablehnte.
    »Wenn ich Sie nicht in Ihrer Morgeneinsamkeit störe, können wir ein Stück gemeinsam gehen«, schlug die Ärztin vor.
    Clara nickte. Während sie nebeneinander über den feuchten, mit Muschelsplittern übersäten Sand schlenderten, sah sie die ältere Frau von der Seite an. »Darf ich Sie noch etwas fragen?«
    »Nur zu.«
    »Ärztinnen sind nach wie vor etwas Besonderes, nicht wahr? Ich stelle es mir schwer vor, als Frau diesen Beruf auszuüben. Mussten Sie sehr für Ihre Ausbildung kämpfen?«
    Henriette Strauss stieß eine Rauchwolke in die Morgenluft und verzog das Gesicht. »Heutzutage geht es. Der Krieg hat vieles verändert. Wenn man die jahrelangen Erniedrigungen ertragen kann und sich bewährt, erhält man irgendwann die verdiente Anerkennung. Aber es dauert länger und kostet mehr Kraft als bei jedem Mann.«
    »Für Frauen ist es sicher angenehmer, von einer Ärztin behandelt zu werden.«
    »Und von ihr beraten zu werden. Ich arbeite nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in einer Beratungsstelle für Frauen. Dort geht es meist um Schwangerschaft, Verhütung, Stillen und Ehestreitigkeiten. Es ist mühsam, immer wieder gegen Mauern anzurennen, die man schon längst niedergerissen glaubte. Viele Ärzte und Politiker, darunter übrigens auch Frauen, wollen nicht begreifen, dass wir in einer neuen Zeit leben«, sagte die Ärztin und strich sich mit einer anmutigen Geste die Haare aus dem Gesicht.
    »Gibt es viele, die mit Ihnen zusammenarbeiten?«
    Henriette Strauss schüttelte den Kopf. »Leider sind wir immer noch wenige und müssen uns für das, was wir tun, fortwährend rechtfertigen. Glauben Sie nicht, ich schwelgte in Selbstmitleid. Aber wenn man Dinge verändern will und immer wieder daran gehindert wird, wenn man sieht, in welchem Elend viele Frauen leben, von zahllosen Schwangerschaften ausgelaugt, mit kranken, unterernährten Kindern, auf die immer neue kranke und unterernährte Kinder folgen   – das ist schlimm.«
    Sie ließ die Zigarette fallen und trat sie energisch aus, als wollte sie ihre Worte unterstreichen. »Natürlich gibt es auch Erfolge. Dennoch, es bleibt viel zu tun.«
    »Haben Sie auch eine eigene Praxis?«
    »Nein, ich arbeite auf der Frauenstation im Luisenkrankenhaus. Die Beratung mache ich in meiner Freizeit.«
    »Dann bleibt Ihnen sicher wenig Zeit für einen Inselurlaub.«
    Die Ärztin lachte. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich nehme mir durchaus Zeit für mein Privatleben. Ich treffe mich regelmäßig mit einigen Frauen aus den unterschiedlichsten Berufen. Wir tauschen uns aus, helfen einander, diskutieren, gehen gemeinsam essen oder ins Theater. Früherbin ich viel gereist, Indien, China, Australien. Wenn man unabhängig ist, kann man seinen Tag frei gestalten.«
    Unabhängig, dachte Clara, also ohne eigene Familie. So lebte sie selbst seit Jahren und hatte oft eine Leere gespürt, die auch die Arbeit nicht ausfüllen konnte. Erst seit sie Leo kannte, begann sich diese Lücke zu schließen wie eine Wunde, die nach und nach verheilt.
    »Nun bin ich dran mit Fragen«, sagte Henriette Strauss unvermittelt.
    »Ich führe eine Leihbücherei in Moabit«, erklärte Clara bereitwillig.
    »Wie interessant   – Sie bringen den Menschen in einem Arbeiterviertel die Literatur nahe. Das wäre ein anregendes Thema für einen unserer Abende. Kommen Sie doch einmal dazu, ich würde mich freuen.« Sie hielt ihr eine Visitenkarte hin, die Clara entgegennahm und in ihre Rocktasche steckte.
    »Nun ja, es geht nicht nur um Literatur«, meinte sie bescheiden. »Auch Courths-Mahler und Gerstäcker leihen die Leute gern aus, um sich den grauen Alltag bunt zu malen. Und Ratgeber, wie man mit wenig Geld haushält und eine Familie durchbringt.«
    »Egal,
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