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Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Titel: Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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besuchen kommen.«
    Sicher, dachte Sophie, das ist genau das, was sie sich wünschte: Heinrich hier, Heinrich dort, und zwischendurch Lisbeths Belehrungen. Wortlos schüttelte sie ihre Pantoffeln ab und schlüpfte unter die Decke. Hier oben, fernab des Ofens in der Stube, war es inzwischen schon empfindlich kühl. Fröstelnd zog Sophie die warme Daunendecke über die Ohren. Sie spürte Lisbeths Blick, aber zu ihrer Erleichterung wandte sich die Schwester schließlich ab und löschte die Nachtkerze. Kurz darauf verriet der gleichmäßige, ruhige Atem, dass sie eingeschlafen war.
    Sophie drehte sich auf die andere Seite, starrte mit offenen Augen gegen die dunkle Wand. Von unten drangen gedämpft Stimmen zu ihnen hinauf, zu undeutlich, als dass sie den Wortlaut hätte verstehen können. Ob Wilhelm Grimm auch das Wort ergriff oder war es Savigny, der dozierte? Vorsichtig schob sie die Hand unter der Decke hervor und strich mit den Fingerspitzen über die raue Oberfläche des Fachwerks. Ihre Haut kribbelte vor Neugier und Ungeduld, während sie vergeblich versuchte, aus den fernen Stimmen etwas herauszuhören. Warum konnte heute kein Hausmusikabend sein, bei dem Lisbeth und sie dabei sein durften? Ob Wilhelm sich etwas aus Musik machte? Sie hatte ihn noch nie gefragt, aber die Gelegenheiten waren auch rar gewesen.
    Sophie warf sich auf die andere Seite und seufzte in die Kissen. Es half nichts, sie würde ohnehin nicht schlafen können. Wenigstens einen kurzen Blick erhaschen. Das konnte nicht so schlimm sein, solange sie niemand bemerkte.
    Lautlos, um Lisbeth nicht zu wecken, schob sie die Decke zurück und setzte sich auf. Mit den Füßen angelte sie nach den Hausschlappen, klaubte den Morgenrock vom Stuhl und schlich auf Zehenspitzen aus der Kammer. Vorsichtig tastete sie sich die schmale Stiege hinab, wohlweislich darauf achtend, nicht auf die knarrenden Stufen zu treten. Unten warf sie den Morgenrock über die Schultern und wollte gerade hinüber in Vaters Bibliothek huschen, als sie ein wohlbekanntes Schnaufen vernahm.
    Sophie fluchte innerlich und drückte sich in den Schatten eines Wandschranks. Den halben Nachmittag hatte ihre Großmutter friedlich im Lehnstuhl geschlummert, und jetzt, da sie sie am wenigsten gebrauchen konnte, hockte sie im Studierzimmer und versperrte Sophie den Weg zum Guckloch.
    Fieberhaft ging Sophie in Gedanken die Möglichkeiten durch, die ihr blieben. Sie konnte zurück ins Bett, aber dann würde sie ebenso wenig schlafen können wie zuvor. Die Großmutter um Verschwiegenheit bitten, stand außer Frage. Blieb noch das Dach.
    Ein letzter, wachsamer Blick zum offenen Türspalt, dann war Sophie am Fenster und öffnete es. Wie fast alle Fensteröffnungen war auch dieses in das Fachwerk eingelassen und entsprechend eng, gerade breit genug, damit Sophie sich mit etwas Geschick hindurchzwängen konnte. Als Kind hatte sie diesen Weg oft gewählt, denn man konnte ohne Mühe auf das Dach des Schuppens gelangen und von dort aus in den winzigen Garten hinabsteigen, den ihre Mutter mit viel Liebe angelegt hatte. Im Sommer, wenn der Gestank am schlimmsten war, verfluchte Sophie die Stadt mit ihren dicht zusammenstehenden, verwinkelten Häusern, die sich einem Labyrinth gleich den Schlossberg hinaufzogen, aber jetzt war sie dankbar für die mittelalterliche Enge.
    Sicher fanden ihre Finger den Vorsprung, an dem sie sich halten konnte, um sich durch das Fensterloch zu ziehen. Klettern konnte sie gut. Auch wenn ihre Mutter es nicht gut hieß, hatte ihr Vater Vergnügen daran gefunden, ihr bei ihren gemeinsamen Ausflügen beizubringen, wie man einen Baum erklomm. Du musst schneller sein als das Wildschwein , hatte er scherzhaft gedroht und spielerisch nach ihren Füßen geschnappt, wenn sie nicht flink genug oben war. Ein Haus war schwieriger zu erklettern als ein Baum, aber an den meisten Fachwerkwänden gab es genug Spalten und Vorsprünge, an denen man Halt finden konnte. Und diesen Weg war sie schon Dutzende Male hinabgestiegen.
    Sie streifte die Pantoffeln ab und ließ sich langsam hinab, bis sie den feuchten Schiefer unter den bloßen Füßen spürte. Vorsichtig bewegte sie sich zum Rand des Dachs. Als sie endlich die Ecke erreichte, an der sie über die Regentonne absteigen konnte, atmete sie erleichtert durch. Die Kälte der Tonne stach geradezu in ihre nackte Fußsohle, sodass ihr beinahe ein erschrockener Laut entfahren wäre. Es war Herbst, fast Winter schon. Im Grunde konnte sie froh sein,
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