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Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Titel: Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Doktor ihr das durchgehen ließ. Diese Verwahrlosung konnte man schwerlich übersehen.
    Die Antwort fand er, als er die Treppe hinauf die Wohnräume erklommen hatte und nach kurzem Klopfen die Stube betrat. Eine Wand aus Hitze und säuerlichem Schweißgestank schlug ihm entgegen und ließ ihn unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. Wie unten waren auch hier alle Fenster geschlossen und die Ritzen mit Tüchern verstopft. Ein gigantischer Kachelofen nahm einen Großteil des Raumes ein. Davor saß in einem Schaukelstuhl ein hageres Männchen, eingehüllt in eine fleckige Decke. Die weißen, ungewöhnlich vollen Haare standen in wirren Locken vom Kopf ab, und auf der gekrümmten Nase trug es eine Brille, deren Linsen fast nur die Pupillen seiner Augen erkennen ließen. Er musste nahezu blind sein, stellte Julius befremdet fest. In seiner Erinnerung war Doktor Hirschner ein Hüne gewesen, hochgewachsen, mit breiten Schultern und großen Händen. Was ein paar Jahre mit einem Menschen anrichten konnten.
    Julius räusperte sich. »Doktor Hirschner?«
    »Hm?« Der Alte schrak auf, blinzelte einen Moment verwirrt hinter seiner Brille hervor, die er umständlich richtete. »Wer sind denn Sie?«
    »Ich habe mich angekündigt. Letzte Woche, ich hoffe, der Brief hat Sie erreicht.« Julius zwang sich zu einem höflichen Lächeln und machte einen Schritt vor, um die Tür hinter sich zu schließen. »Mein Name ist Doktor Friedrich Julius Laumann. Ihr zukünftiger Adjunkt.«
    »Der kleine Laumann!« Erkenntnis überzog das faltige Gesicht des Alten, der die Mundwinkel anhob und dabei eine Reihe erstaunlich guter Zähne entblößte. »Mein Gott, ich hätte dich kaum erkannt. Groß bist du geworden! Ich habe dich noch gar nicht erwartet.« Er stemmte sich aus dem Schaukelstuhl hoch, sodass Julius schon fürchtete, er wollte ihn umarmen, aber zu seiner Erleichterung streckte der Arzt ihm nur die Hand entgegen. »Willkommen in Marburg! Ich hoffe, der Familie geht es gut?«
    »Ja, ich denke schon. Ich bin direkt aus Paris hierher gekommen und werde sie später sehen.« Die Begeisterung, seiner Familie zu begegnen, hielt sich in Grenzen, auch wenn er ahnte, dass sich seine Ankunft bereits herumgesprochen hatte. Wie eng die Stadt doch war, wenn man es einmal hinausgeschafft hatte, dachte er in einem Anflug von Wehmut. Paris war offen und voller Leben gewesen, eine aufstrebende Stadt, seit der korsische General die Direktoren davongejagt und die Macht übernommen hatte. Eine Stadt, die atmete, deren Geist ihn beflügelte. Das konnte er von Marburg bislang nicht sagen. Zumindest nicht von dem Marburg, das er damals verlassen hatte.
    Der Alte wiegte missbilligend den Kopf. »Ts, Junge! Es ist nicht gut, immer nur an die Arbeit zu denken. Familie ist wichtig. Aber nun setz dich erst einmal und lass dich anschauen. Hattest du eine gute Reise?«
    »Beschwerlich, wie es im Herbst eben ist, wenn man eine Reise wagt.« Julius blickte sich suchend um, zog dann einen Stuhl mit schmutziger Sitzfläche heran und ließ sich darauf nieder. »Das letzte Stück musste ich laufen, weil ein Teil der Straße überflutet war und die Postkutsche nicht passieren konnte. Es würde das Reisen erheblich vereinfachen, wenn der Kurfürst hochwassersichere Straßen bauen ließe.«
    »Sei froh, dass dich nur das Hochwasser ereilt hat.« Hirschner beugte sich ein wenig in seinem Stuhl vor. »Es ist nicht ungefährlich, zu dieser Zeit allein dort draußen zu Fuß unterwegs zu sein. Da geht etwas um in den Wäldern. Ein Wolf. Eine Bestie.«
    Julius runzelte verwundert die Stirn. In harten Wintern kam es bisweilen vor, dass sich die Wölfe bis in die Dörfer wagten oder Reisende angriffen, aber der Herbst war bislang mild gewesen. »Ich habe keinen Wolf gesehen. Wurden denn schon Leute angefallen?«
    Hirschner nickte wissend. »Gestern erst. Ich habe die Verletzungen versorgt. Das Untier hat dem armen Mann das Fleisch vom Knochen gerissen. Er ist nur entkommen, weil die Bestie plötzlich von ihm abgelassen hat. Ein Teufelswesen. Es wird nicht lange dauern, bis es den ersten unachtsamen Wanderer in den Schlund der Hölle hinabreißt.«
    Julius verkniff sich die Erwiderung, die ihm bereits auf der Zunge lag. Er wusste um die Schrullen Hirschners, jeder in Marburg kannte sie, aber bislang hatte der Doktor immer in dem Ruf gestanden, ein hervorragender Mediziner und ein kluger Kopf zu sein. Nur deshalb hatte Julius das Angebot seines Vaters angenommen, das ihn zur Rückkehr
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