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Die Tote am Watt

Die Tote am Watt

Titel: Die Tote am Watt
Autoren: Gisa Pauly
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fußbreite Schleifspur klebte auf der Böschung, noch dunkel, noch feucht, noch ohne bröckelnde Ränder.
    Ihm selbst gelang der weite Schritt auch erst im zweiten Versuch. Dann waren es nur noch ein paar Meter auf dem Kamm der Böschung, und schon konnte er die Kiesgrube überblicken. Von der Straße bog ein Weg zur Kläranlage ab und von ihm wiederum eine lange Rampe zum Grund der Kiesgrube, festgefahren von unzähligen großen Fahrzeugen. Auf dem Weg, nicht weit von der Rampe entfernt, sah Erik Toves Lieferwagen stehen. Und am Grund der Grube eine reglose Gestalt, über die sich zwei Männer beugten. Einer der beiden trug eine rote Schirmmütze. Über ihnen kreiste eine Möwe in immer längeren Schwüngen. Sie ließ sich tiefer und tiefer sinken und landete schließlich in der Nähe der drei. Erik wurde auf entsetzliche Weise an einen Aasgeier erinnert, der sich in der Nähe seiner Beute niederlässt und auf den letzten Atemzug wartet.
    Er begann zu laufen. Fragte sich, welche Angst ihn eigentlich trieb, wusste aber keine Antwort darauf. Das Opfer, das am Boden lag, hatte er nicht erkennen können. Nur Jens Gühlich, der wegen Mordes gesessen hatte, und Tove Griess, dem alles zuzutrauen war.
    Es war schwer, sich auf der holprigen Grasnarbe schnell fortzubewegen, immer wieder rutschte er aus, knickte um, fiel beinahe hin, trotzdem ließ er alle Vorsicht fahren und lief, so schnell er konnte. Wäre Sören bei ihm gewesen, hätte er ihn vorauslaufen lassen und wäre ihm gemächlich gefolgt, weil er schließlich zwanzig Jahre älter war und auch dann die Gemächlichkeit für sich in Anspruch genommen hätte, wenn er auf dem besten Wege zum Sportabzeichen gewesen wäre. Dass er es nicht war, wurde ihm in diesem Augenblick deutlicher denn je.
    Er sah erst wieder auf, als die Unwegsamkeit ein Ende hatte, als seine Füße auf der Rampe standen, die auf den Grund der Grube führte. Auch sie war uneben, nachgiebig, hier und da ausgehöhlt, von schweren Rädern durchfurcht, aber wenigstens nicht von Steinen durchsetzt.
    »Polizei! Aufstehen! Keine Bewegung!«
    Er begann schneller zu laufen, berauschte sich für Augenblicke an der Geschwindigkeit, die plötzlich möglich war, merkte dann, dass seine Beine dem Rest seines Körpers davonliefen, versuchte verzweifelt, sein Tempo zu drosseln, lehnte sich gegen die Laufrichtung, schaffte es aber nur unvollkommen und war, als er sich schließlich dem Ende der Rampe näherte, so dankbar, dass er die Gegenwehr aufgab und nun tatsächlich flog. Bäuchlings, alle viere weit von sich gestreckt – so lag er da. Und er hätte etwas darum gegeben, so liegen bleiben zu dürfen. In aller Ruhe nach Luft schnappen, darauf warten, dass der Schmerz verging und sich dann vergewissern, dass niemand ihn gesehen hatte.
    »Polizei!«, keuchte er, kaum dass er wieder auf den Beinen war. »Hände hoch.«
    Tove Griess richtete sich auf und reckte grinsend die Arme in die Höhe, wie es nur jemand tat, der genau wusste, dass er dem anderen überlegen war. Jens Gühlich schloss sich an, der schnell begriffen hatte, dass sein Schwager in seiner Einschätzung Recht haben musste. Denn wenn ein Polizist »Hände hoch!« rief, ohne eine Waffe in der Hand zu halten, musste man sich keine großen Sorgen machen.
    Und noch jemand richtete sich auf. Mamma Carlotta hielt sich den Kopf und stöhnte so dramatisch, wie sie es auch dann tat, wenn sie sich einen Finger am Kochtopf verbrannt oder beim Kartoffelschälen geschnitten hatte. Erik, der niemals reagierte, wenn in der Küche die Madonna angerufen und in Begleitung vieler Worte nach Pflaster, Wundsalbe und Kopfschmerztabletten gesucht wurde, war in diesem Fall aufs Höchste alarmiert.
    »Was ist passiert?«
    Mamma Carlotta hielt sich den Kopf. »Ich glaube, ich habe eine Gehirnerschütterung.« Dann griff sie sich hierhin und dorthin, stöhnte manchmal auf und lächelte dann wieder, als hätte sie Schlimmeres erwartet.
    Erik sah zu Tove und Jens hinüber, die keine Anstalten machten zu flüchten. »Haben die beiden dir etwas getan? Haben sie dich bedroht?«
    Tove Griess mischte sich ein. »Wir wollten Ihre Schwiegermutter nur beschützen. Aber bevor wir Ihnen alles erzählen, sollten Sie erst mal eine Fahndung nach Wolf Andresen einleiten. Vor dem ist Ihre Schwiegermutter nämlich geflüchtet, nicht vor uns. Und vor lauter Angst ist sie in die Kiesgrube gestürzt.« Tove zeigte nach oben. »Ein Wunder, dass ihr nichts Schlimmeres passiert ist.«
    Erik griff nach
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