Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote am Watt

Die Tote am Watt

Titel: Die Tote am Watt
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
dralle Person, die sich so flink bewegte wie ein junges Mädchen? Deren Augen blitzten, als hätte sie Spaß an diesem Abenteuer?
    Auf wundersame Weise kam Mamma Carlotta genau in dem Warteraum an, den die reizende Bodenstewardess ihr genannt hatte. Plötzlich war sie wieder voller Zuversicht, dass sie ins richtige Flugzeug steigen und tatsächlich in Hamburg ankommen würde. Sie fand sogar ohne langes Suchen ihren Sitzplatz. Als die Stewardess ihr erklärte, wie die Sicherheitsgurte anzulegen waren, hielt sie es ohne Weiteres für möglich, auch auf dem Rückflug das richtige Flugzeug zu erwischen und wieder in Rom anzukommen, statt in Peking oder in Timbuktu. Nun mussten nur noch Erik und die Kinder pünktlich in Hamburg am Flugplatz erscheinen, um sie abzuholen …
    »Müssen Sie auch nach Sylt?«, fragte sie ihren Sitznachbarn erst auf Italienisch, dann auf Deutsch. Zu ihrer Freude stellte sich schnell heraus, dass sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten konnte.
    Der römische Geschäftsreisende bedauerte. »Ich habe in Hamburg zu tun.« Dann erkundigte er sich mitfühlend, ob etwa niemand in Hamburg bereitstehen würde, um sie abzuholen.
    Mamma Carlotta beeilte sich zu versichern, dass ihr Schwiegersohn und die beiden Enkelkinder schon darauf brannten, sie in die Arme zu schließen. »Aber man kann ja nie wissen. Sie könnten einen Autounfall haben …« Prompt fiel ihr Lucia ein, die ihr Leben auf einer deutschen Landstraße gelassen hatte. »Eine unübersichtliche Kurve«, seufzte sie und suchte nach ihren Taschentüchern. »Sie war sofort tot. Madonna! Aber wenigstens hat sie nicht leiden müssen, la mia piccola.«
    Der Sitznachbar legte seine Zeitung zur Seite und fragte nach den Einzelheiten. Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte, wusste er bereits von Mamma Carlottas Kummer über Lucias Entschluss, mit einem deutschen Touristen in den Norden zu ziehen. Außerdem hatte er Einzelheiten der Hochzeit, der Besuche der Enkelkinder in Umbrien und viel über den Beruf des Schwiegersohns erfahren. »Un Commissario!«
    Gerade wollte sie schildern, wie wenig ihr die deutsche Polizeiuniform gefiel und um wie viel schnittiger sie italienische Polizisten in ihren dunkelblauen Uniformen fand, da leitete der Pilot die Startphase ein. Erschrocken drückte sich Mamma Carlotta in den Sitz und entschloss sich zu einem leisen »Gebenedeit seist du, Maria«, das sie abrupt beendete, als sie sich traute, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. »Madonna! Wir sind über den Wolken!«
    Dann knüpfte sie an das Gespräch an. Dem Sitznachbar blieb nichts anderes übrig, als die Zeitung erneut zur Seite zu legen und sich Mamma Carlottas Lebensgeschichte anzuhören. Keine der sieben Geburten blieb unerwähnt, und Dinos Krankheit konnte Mamma Carlotta sogar mit medizinischen Fachausdrücken schmücken. Zwischendurch lobte sie das Essen, das die Stewardessen servierten, und konnte sich nicht genug darüber wundern, wie die ganze Kocherei in einem fliegenden Flugzeug zu bewerkstelligen war. Dann fuhr sie fort, einen Überblick über die Familie Capella zu geben. Als sie bei den Lebensläufen ihrer Schwiegertöchter angekommen war und sich gerade anschicken wollte, die schwere Erkrankung der ältesten Tante von Guidos Frau zu schildern, setzte das Flugzeug zum Landeanflug auf Hamburg an. »Wir sind schon da?«
    Der Sitznachbar, der jede Gegenwehr längst aufgegeben hatte, bot Mamma Carlotta an, den Platz zu tauschen, damit sie am Fenster sitzen und sich Hamburg von oben ansehen konnte.
    »Sprechen Sie überhaupt deutsch?«, fragte er besorgt.
    »Ma sì!« Mamma Carlotta machte Anstalten, die gesamte Unterhaltung, die sie bisher auf Italienisch geführt hatten, in Deutsch zu wiederholen. Aber zum Glück wurde sie durch die Aussicht auf den Hamburger Hafen davon abgehalten.
    Den römischen Geschäftsreisenden streifte die Ahnung, dass diese italienische Mamma aus Umbrien eine erfolgreiche Frau geworden wäre, wenn das Schicksal sie an einen anderen Platz gestellt hätte. Dabei wusste er nicht einmal, dass Carlotta Capella niemals Unterricht erhalten, sondern die deutsche Sprache neben dem Bett ihres schwer kranken Mannes erlernt hatte. Dort hatte sich Lucia zu ihr gesetzt, wenn sie zu Besuch in Umbrien war, und ihrer Mutter Deutschunterricht erteilt, damit sie ihre Enkel verstehen konnte. Dort hatte auch die Nachbarin mit ihr deutsch gesprochen, eine junge Frau, die als Touristin von Berlin nach Umbrien gekommen war, sich dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher