Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote am Watt

Die Tote am Watt

Titel: Die Tote am Watt
Autoren: Gisa Pauly
Vom Netzwerk:
der Hand seiner Schwiegermutter. »Versuch, aufzustehen. Aber ganz vorsichtig.«
    Mamma Carlotta genoss die Vorstellung sichtlich. Viel vorsichtiger, als notwendig war, stellte sie ihr Gewicht auf die Beine, bewegte behutsam ihre Arme, drehte den Kopf in sämtliche Richtungen und lächelte Erik an. »Dino und Lucia waren meine Schutzengel. Seit die beiden dort oben auf mich aufpassen, kann mir nichts passieren. Sogar vor ein paar Wochen, als ich auf dem Weg zum Markt über einen Stein gestolpert und hingeschlagen bin …«
    »Was ist passiert?«, fragte Erik. »Du bist doch nicht wirklich von da oben heruntergefallen. Dann hättest du dir den Hals gebrochen.«
    Mamma Carlotta lächelte stolz. »Bin ich aber. Und wie du siehst, habe ich mir den Hals nicht gebrochen. Auch sonst nichts.« Sie wedelte mit den Armen, streckte und beugte die Beine und wackelte mit dem Kopf. Dann jedoch zuckte sie zusammen und griff nach ihrer Schläfe.
    Erik wandte sich an Tove. »Was haben Sie beobachtet?«
    Tove grinste immer noch. »Sie wissen doch, Herr Hauptkommissar, dass man vom Pensionszimmer meines Schwagers in Andresens Garten blicken kann. Tja, und da sah ich Ihre Schwiegermutter. Es sah ganz so aus, als wollte sie weglaufen. Aber das hintere Tor war zu. Dann konnten wir sehen, dass sie in das Gartenhaus lief. Es dauerte nicht lange, und es flüchtete ein Mann daraus. Björn Mende«, ergänzte er nachdrücklich. »Und Ihre Schwiegermutter taumelte ihm nach und lief Wolf Andresen direkt in die Arme.« Nun warf er seinem Schwager einen Blick zu, als erwartete er von dort eine Bestätigung. Aber Jens Gühlich schwieg und sah Erik nur unverwandt an. »Das alles hat uns schon ganz schön stutzig gemacht«, fuhr Tove fort. »Aber richtig alarmiert waren wir, als Ihre Schwiegermutter plötzlich ein Stück Wäscheleine in der Hand hielt, das ihr von Andresen abgenommen wurde. Als wir dann noch feststellten, dass die beiden gemeinsam wegfuhren …«
    »… da sind sie mir gefolgt«, ergänzte Mamma Carlotta zufrieden. »Was für ein Glück! Sonst wäre nämlich Andresen in die Kiesgrube gestiegen und hätte mir hier den Rest gegeben.« Sie strahlte über das ganze Gesicht, als wäre sie nichts Schlimmerem als einem Regenguss nach dem Friseurbesuch entkommen.
    Der Veränderung in Toves Lächeln sah Erik mit offenem Munde zu. »Ich habe Ihnen doch versprochen, Signora, dass ich ein Auge auf Sie haben werde, solange Sie bei Andresen arbeiten.«
    »Du hast bei Andresen gearbeitet?« Erik stellte fest, dass er nun nichts mehr gegen den Aufmarsch der vielen Fakten tun konnte, die sich bereits in seinem Kopf formiert hatten, deren Parade er aber eigentlich nicht abnehmen wollte. »Als Anna Rocchi«, fügte er an, da er hier anscheinend für völlig ahnungslos gehalten wurde, was er vor ein paar Stunden tatsächlich noch gewesen war. Die Blöße, nach der Bekanntschaft seiner Schwiegermutter mit Tove Griess zu fragen, wollte er sich nicht geben.
    Mamma Carlottas Gesicht wurde schuldbewusst. In kurzen schnellen Sätzen erzählte sie Erik, was Carolins Märcheninterpretation in ihr ausgelöst hatte. »Die Ordnung bei Christa Kern war unnatürlich! Das war keine wirkliche Ordnung, sondern das Ergebnis von Wolf Andresens Ordnungszwang. Das wurde mir mit einem Schlag klar. Und dann noch die abgeschnittene Wäscheleine!« Sie blitzte ihren Schwiegersohn trotzig an. »Andresen hat gesagt, er habe mit dir telefoniert! Sonst wäre ich niemals zu ihm ins Auto gestiegen.« Obwohl sie eigentlich längst wusste, dass Andresen sie betrogen und höchstwahrscheinlich mit einem tutenden Telefonhörer gesprochen hatte, versuchte sie dennoch, die Schuld an ihrer Gutgläubigkeit einem anderen in die Schuhe zu schieben. Erik kannte das. Genauso hatte Lucia es auch immer gemacht. Wenn sie das Bügeleisen auf einem Oberhemd vergessen hatte, war der Radiosprecher schuld gewesen, der sie mit der Ankündigung einer Sendung für Kleingärtner daran erinnert hatte, dass die Geranien gegossen werden mussten.
    »Du weißt, dass wir Andresen als Täter ausgeschlossen haben«, sagte er. »Ein Stück von der Wäscheleine konnte auch Björn Mende abschneiden. Und was die Ordnung angeht …«
    Aber nun stellte sich heraus, dass Mamma Carlottas Auflehnung nur ein letztes Aufflackern ihrer an sich unverwüstlichen Konstitution gewesen war. Plötzlich wurde sie bleich und ließ sich vornüberfallen. Erik, der wusste, dass er sich niemals an ihre Stimmungswechsel und auch nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher