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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias
Autoren: Gerd Brantenberg
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sofort von allen Seiten Applaus, den sie mit übertriebenem Nicken, Lächeln und Winken entgegennahm. „Raus!“ schrie Herrlein Uglemose, und augenblicklich, wie auf Befehl, stand Ba auf und ging hinaus — über den großen Onkel. Das Herrlein ging nämlich über den großen Onkel. Sein Gesicht lief dunkelrot an, er sagte aber nichts mehr. Es war still in der Klasse, als Ba draußen war.
    „Herrlein?“ Wieder war es der kleine, mollige Fandango. „Was heißt ‚Unrecht der Natur’, Herrlein?“
    Das war genau die Frage, die dem Herrlein aus der Patsche half. Er faßte Mut und erweibte sich. „Das Unrecht der Natur besteht darin, daß die Starken die Schwachen unterdrücken. In der Natur frauscht, wie wir es nennen, das Gesetz des Dschungels. Das ist Krieg aller gegen alle, wobei die Stärkere immer gewinnt und die Schwächere immer hungert oder stirbt. Nun weißt du ja, Fandango — und ihr anderen ja wohl auch — , daß es bei uns nicht so ist. Wenn dies bei uns nicht so ist, so liegt es daran, daß wir so etwas wie eine Zivilisation haben. Seit dem Jahre 213 n. Kl. haben die Wissenschaftlerinnen alle Aspekte des Unrechts der Natur untersucht. Es handelt sich um ein sehr kompliziertes Fachgebiet, das tiefe Einsichten in das Wesen der Unterdrückung verlangt.“
    Das war ein bekanntes und beliebtes Thema. Das hatte das Herrlein als Kind gelernt. Er redete sich warm. Die meisten Schüler waren mittlerweile in einen leichten Schlummer gefallen, als sich leise die Tür öffnete und Ba unversehens die Nase hereinsteckte: „Nun bin ich wieder artig, Herrlein. Darf ich wieder hereinkommen?“
    Alle wußten, dies war eine unerhörte Frechheit. Hinaus auf den Flur bedeutete hinaus auf den Flur. Und wenn dam sich dem nicht fügte, ging es schnurstracks zur Rektorin. Der bloße Gedanke, sich vor ihrem Schreibtisch rechtfertigen zu müssen, erfüllte alle Schüler mit Schrecken.
    Herrlein Uglemose dachte jedoch an etwas anderes. Er dachte daran, daß Ba die Tochter von Direktorin Bram war. Auch dachte er daran, daß ihm die Rektorin peinliche Fragen nach seinen Fähigkeiten als Lehrer stellen würde, wenn er sich in diesem Semester erlaubte, mehrere kleine Mädchen wegen Aufsässigkeit zu ihr zu schicken. Er wußte, daß schon einige ernst zu nehmende Mütter bei der Rektorin angerufen und sich erkundigt hatten, ob Herrlein Uglemose ihren Töchtern einen zeitgemäßen Unterricht erteile.
    „Ja, bitte“, sagte das Herrlein zu Ba, „wenn du dich jetzt ordentlich benehmen kannst.“
    „Vielen Dank, das ist sehr freundlich“, sagte Ba. Gespreizt spazierte sie zu ihrer Bank. Die Klasse kicherte, das Herrlein tat so, als habe er nichts gesehen. Er wollte fortfahren, wo er stehengeblieben war, hatte aber den Faden verloren. Ba malte an ihrer Karikatur weiter. Er tat so, als sehe er auch das nicht. Klein-Fandango meldete sich.
    „Ja?“
    „Wer sind die Schwachen in unserer Gesellschaft?“
    „Wie?“
    „Sie haben gesagt, daß die Starken die Schwachen beschützen sollten. Wer sind die Schwachen?“
    „Das sind die Frauen“, antwortete das Herrlein.
    Zum ersten Mal blickten ihn alle Schüler an. Auch Ba hörte mitten bei einem Kräuselstrich seines Bartes auf.
    „Das ist doch Unsinn“, sagte Ann. Sie war so etwas wie die Anführerin der Klasse. Sie war die erste, die ihre Menstruation bekommen hatte, und fühlte sich deshalb immer zu allgemeinen Äußerungen berufen, ohne zu fragen, was die anderen meinten. Ihre Mutter saß in der Volksburg. Ann sollte Agrarexpertin werden.
    „Ich verstehe sehr gut, daß du dies so siehst, Ann“, antwortete das Herrlein. „Aber wenn wir einmal darüber nachdenken, so ist die Frau die Schwächere, auch dann, wenn sie als das unempfindsame Geschlecht bezeichnet wird. Die Zivilisation hat die Frauen zum unempfindsamen und die Männer zum empfindsamen Geschlecht gemacht. Das ist das Geniale an unserer Zivilisation.“ Er hielt kurz inne. Ja, sie hörten zu. Sie hörten wirklich zu. Das Herrlein schöpfte Mut. „Von Natur aus — rein biologisch gesehen nämlich — ist die Frau schwächer als der Mann.“ Das Herrlein fand sich kühn. Doch gleichzeitig hatte er das vage Gefühl, daß dieses Thema in ein anderes Fach gehörte. Es war schwer, an den eigentlichen Kern der Sache heranzukommen. Hatte er sich vergaloppiert? Sollte dam darüber nicht lieber im Sexualkundeunterricht reden? Es war, als wurden diese für das Wibschenleben so wichtigen Dinge in überhaupt kein Fach fallen.
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