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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds
Autoren: Aufbau
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und dann noch mal am Abend, wenn
     sie von der Weide zurückkamen. Wenn sie mit Gül allein war, redete sie viel mit ihrer Tochter, erzählte ihr, was sie gerade
     tat und an wen sie dachte, erzählte, daß sie selber keine Mutter gehabt hatte, daß ihre Adoptivmutter sich gut um sie gekümmert
     hatte, aber vielleicht nur, weil sie das Mädchen war, das sie sich gewünscht und nie bekommen hatte. Mit ihren drei Brüdern
     hatte Fatma sich nicht gut verstanden, die hatten sie geärgert und gequält, einmal hatten sie sie gezwungen, einen verfaulten
     Apfel zu essen, ein anderes Mal hatten sie ihre Kleider versteckt, als sie im Fluß badete, doch das alles war lange her, jetzt
     hatte sie Timur, und sie hatte Gül, und wenn Gott es wollte, würde sie noch mehr Kinder bekommen.
     
    So verbrachten sie den Sommer, und als der Herbst fast schon vorbei war, zogen sie wieder auf das Dorf, weil es zu kalt wurde
     in den kleinen Sommerhäusern ohne Ofen, weil es nicht mehr viel zu tun gab, nachdem die Äpfel geerntet waren, weil auch die
     Nachbarn fortzogen, zurück in die Stadt, in ihre Häuser, aus denen die Leute aus Adana auszogen, um in ihrer Stadt einen milden
     Winter zu verbringen, in dem sie wahrscheinlich wieder keinen Schnee sehen würden. Timur, Fatma |29| und Gül zogen zurück aufs Dorf, weil hier niemand mehr war zum Reden, um Mehl auszuborgen oder eine Schubkarre voll Dünger.
     Sie zogen zurück aufs Dorf, aber ohne ihr Bett, das sie wieder jemandem geliehen hatten, der gerade heiratete, ohne Bett,
     aber mit den Kühen und Hühnern.
    – In ein paar Jahren wird jeder in der Stadt wissen, wie die Könige schlafen, sagte Timur und tat so, als würde er sich darüber
     ärgern. Doch in Wirklichkeit war er stolz auf dieses Bett, und wenn es gerade ausgeborgt war, dachte er voller Vorfreude daran,
     schon bald wieder morgens aufwachen zu können, ohne als erstes den festgestampften Lehmboden zu sehen und zu riechen.
    Gül hatte sehr schnell angefangen zu sprechen. Dafür brauchte sie länger als andere Kinder, bis sie laufen lernte, sie war
     fast schon zwei, und ihre Mutter fing an, sich Sorgen zu machen, während der Schmied nur lachte. Gül krabbelte, aber nicht
     so wie andere Kinder, sie krabbelte rückwärts und drehte immer den Kopf über die Schulter, um zu sehen, was hinter ihr war.
    – Eine verrückte Rose, sagte Timur.
    Als Fatma zum zweiten Mal schwanger wurde, konnte Gül schon laufen. Eines Nachts lag Fatma wieder in Timurs Armen auf einem
     Friedhof und spürte es erneut ganz deutlich. Es war Neumond, und Fatma hatte das Gefühl, daß die Geister der Toten ihr wohlgesonnen
     waren, wohlgesonnen und erstaunlich nahe.
    – Timur, sagte sie, hättest du eigentlich lieber einen Sohn oder noch eine Tochter?
    – Die Hände und Füße sollen an den richtigen Stellen sein, antwortete der Schmied, das Kind soll gesund sein und mit einer
     Mutter und einem Vater aufwachsen. Das ist das wichtigste.
    – Du wirst noch eine Tochter bekommen. Weißt du schon, wie du sie nennen möchtest?
    – Melike.
     
    |30| Melike schrie die Nächte durch, sie brüllte, bis sie im Gesicht ganz lila wurde, mal saugte sie gierig an der Brust, mal mochte
     sie gar nichts, und manchmal schien es, als würde sie nur schlafen, wenn alle ohnehin bei Kräften waren. War Fatma übermüdet
     und ausgelaugt und schwach, konnte sie sicher sein, daß Melike die ganze Nacht lang weinen würde. Doch kein einziges Mal hörte
     man Fatma stöhnen.
    – Was ist das nur für ein Kind? fragte Timur seine Frau.
    – Es ist ein anderes Kind, antwortete sie. Sie ist unruhig und eigenwillig. Du hast sie Melike genannt, Königin, und jetzt
     benimmt sie sich auch so.
    Timur lachte, nahm die Kleine auf den Arm, biß sie leicht in die Wange und sagte:
    – Das werden wir dir noch austreiben.
    Fatma lächelte. Wenn Timur das Dach ausgebessert hatte und am nächsten Tag ein Tropfen Regen von der Zimmerdecke in seinen
     Tee fiel, schleuderte er sein Glas gegen die Wand. Daran konnte sie nichts ändern. Wenn Beşiktaş verloren hatte, konnte er
     tagelang aufbrausend sein. Wenn in der Schmiede etwas nicht gelang, hämmerte Timur wie wild und hatte hinterher schwarze Blutergüsse
     unter den Nägeln.
    Dieser Mann würde Melike gar nichts austreiben, er liebte seine Töchter, ja, er nahm sich Zeit für sie, er war ganz vernarrt
     in die Mädchen, aber ebensowenig, wie Fatma ihn ändern konnte, würde er seine Kinder ändern können.
     
    Jahr um Jahr
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